Rezension

"Wichtig ist, dass man weiß, was am Ende dabei rauskommen soll" (S. 66)

Die Welt ist kein Ozean - Alexa Hennig von Lange

Die Welt ist kein Ozean
von Alexa Hennig von Lange

Bewertet mit 5 Sternen

Die 16-jährige Franziska, Franzi genannt, ist behütet und sicher aufgewachsen, vielleicht sogar etwas über behütet, denn ihre Mutter Helene war seit jeher in ständiger Sorge um ihre Familie, ist ihr Mann Bernhard doch Oberstaatsanwalt und hat dementsprechend viele Feinde. In der Tat hatte es bereits eine Gang auf die Familie abgesehen, doch konnte Noah, der Freund von Franzis älterer Schwester Sina (Ach wie gut, dass niemand weiß ...) das Schlimmste verhindern. Nunmehr steht für Franzi ein zweiwöchiges Schulpraktikum an und da sie weiß, dass sie bisher ein wundervolles Leben hatte, möchte sie etwas davon zurück geben und Menschen helfen. Von daher hat sie sich für ein Praktikum in einer Klinik für psychiatrisch angeschlagene Jugendliche beworben und dieses auch erhalten - sehr zum Entsetzen ihrer Mutter und ihrer besten Freundin Nelli, welche ihr Praktikum bei Franzis Vater in der Staatsanwaltschaft, Abteilung für jugendliche Straftaten und Bandenkriminalität, machen wird, denn Nelli will unbedingt Juristin werden. Es ist nicht leicht, mit Nelli befreundet zu sein, dass weiß Franzi. Zwar kennen sich die beiden schon fast ihr ganzes Leben lang, doch Nellis Vater verließ vor über einem Jahr ohne Vorwarnung seine Familie und seitdem leidet Nelli unter Verlustängsten, was sie jedoch niemals zugeben würde - dafür ist sie viel zu hart im Nehmen.

 

Für Franzi selbst ist dieses Praktikum wie ein kleiner Ausbruch aus ihrer perfekten kleinen Welt, in der sie an der Fürsorge ihrer Mutter fast erstickt. Nach dem Praktikum hat sie große Pläne. Sie wird sich in den nächsten Tagen an einem Vorspiel teilnehmen, wo sie sich um ein Auslandsjahr an einem australischen Musikcollege bewirbt, denn Franzi spielt seit ihrem 7. Lebensjahr Klavier und ihr Klavierlehrer Roman setzt große Stücke in sie. Doch vor einem eventuellen Auslandsjahr auf der anderen Seite der Erde steht erst einmal das Praktikum an.

 

Etwas mulmig ist Franzi schon bei ihrem ersten Eintreffen in der Klinik, doch wird sie gleich herzlich von Schwester Maggie in Empfang genommen und auch die in der Klinik befindlichen Jugendlichen sind eigentlich ganz normal, mal abgesehen davon, dass sie ein paar Probleme haben, aber die sieht man ihnen nicht an. Während Schwester Maggie, ihre Ansprechpartnerin, sehr herzlich ist, ist der Chefarzt Doktor Weinberg doch eher reserviert und es gibt eine Regel, die sie unbedingt befolgen muss: Sie darf sich mit keinem Patienten anfreunden - dauert ihr Praktikum doch nur zwei Wochen und könnte anschließend, wenn sie nicht mehr da wäre, die Jugendlichen in ein Tief stürzen. Gleich am ersten Tag lernt Franzi alle kennen, die auf der ihr zugeteilten Station untergebracht sind und sie lernt auch den "unnahbarsten Fall" der Klinik kennen - Tucker. Tucker ist ein 18-jähriger Junge, der seine Tage im Schwimmbad verbringt und mit niemanden redet. Er leidet auf Grund eines traumatischen Ereignisses an totalem Mutismus. Ein Jahr schon ist Tucker in der Klinik und noch immer ist es niemandem gelungen, zu ihm durchzudringen. Doch Franzi gelingt das, was bisher undenkbar war - bereits am zweiten Praktikumstag nimmt Tucker an Aktivitäten teil, die er vorher immer ignoriert hat - scheinbar, weil Franzi dort ebenfalls ist. Auch in den folgenden Tagen geht Tucker immer mehr aus sicher heraus und auch wenn sie nicht verbal miteinander kommunizieren könnte, öffnet sich Tucker immer weiter - doch nur Franzi hat diesen Effekt auf ihn. Aber um ehrlich zu sein, nicht nur Franzi hat einen Effekt auf Tucker, auch Tucker berührt Franzi in einer Art, dass sie sich in den stummen jungen Mann verliebt - doch was wird aus ihrem Australientraum? Wird sie alles aufgeben, was sie sich in den letzten Jahren erarbeitet hat, um weiter bei Tucker bleiben zu können und was ist, wenn er trotz allem, niemals sprechen wird?

 

 

"Wichtig ist, dass man weiß, was am Ende dabei rauskommen soll" (S. 66) Der Plot wurde sehr einfühlsam und realistisch erarbeitet. Im Besonderen hat mir gefallen, wie die Figur der Franzi vorurteilsfrei in die Welt der Jugendlichen eintritt, welche mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben und wie sie es schafft, mit ihnen allen zu agieren, auf jeden einzugehen und für jeden, der ihre Hilfe möchte, da zu sein, ohne sich dabei auch nur im geringsten zu verstellen. Die Figuren wurden facettenreich und authentisch erarbeitet. Besonders Franzi mit ihrer ausgesprochen positiven Art sticht sehr hervor, denn ehrlich, ein solches Mädchen habe ich im realen Leben noch nicht kennen gelernt. Auch die Figur des Tucker wurde sehr realistisch arbeitet, wobei diese Figur (auf Grund des Krankheitsbildes) nicht durch Worte überzeugt, sondern durch sein Handeln und seine Interaktion, gerade mit Franzi. Ich muss sagen, beide geben ein durchaus ungewöhnliches, jedoch sehr interessantes Protagoisten-Paar ab. Als Nebenfigur hat mich vor allem Nellie beeindruckt, denn obwohl sie so aufgeklärt zu sein scheint oder es zumindest vorgibt zu sein, so ist doch in ihr, das merkt der Leser sehr schnell, ein kleines verlassenes Mädchen, das mit ihrer Lebenssituation teils sehr überfordert ist und das Wenige, was noch in ihrem Leben beständig ist (wie die Freundschaft mit Franzi) um jeden Preis festhalten will. Den Schreibstil kann ich nur als sehr einfühlsam und realistisch beschreiben, sodass ich förmlich in das Buch eingesogen wurde und alle Hürden versucht habe, mit Franzi, Tucker und den anderen zu nehmen.

Kommentare

gaby2707 kommentierte am 04. August 2015 um 16:39

Bei der tollen Rezi muss ich schauen, dass das Buch bald von meiner Wunschliste verschwindet.