Wortgewaltige, fesselnde Beschreibung von Gewalt und Hoffnungslosigkeit im sozialen Brennpunkt. Ein literarisches Juwel.
Bewertet mit 4 Sternen
Als wir Schwäne waren
von Behzad Karim Khani
In seinem zweiten Roman beschreibt der gebürtige Iraner Behzad Karim Khani, der mit seinen Eltern im Alter von zehn Jahren aus dem Iran nach Deutschland fliehen mußte, sein Aufwachsen in einem von Gewalt geprägten Problemviertel im Ruhrgebiet.
Dieses vergleicht er mit einem sich selbst überlassenen Aquarium aus dem es nur die Wenigsten heraus schaffen. Obwohl er dieses Aquarium der Gewalt, Lieblosigkeit und Hoffnungslosigkeit verlassen will, möchte er auch nicht Teil der Welt außerhalb des Aquariums sein, da er sich auch der Sphäre der „normalen“ deutschen Gesellschaft nicht zugehörig fühlt.
Und so möchte sich Reza, sein Alter Ego im Roman, in der Trennscheibe dieser beiden Welten einrichten und diese soll so dick wie möglich sein.
Genau genommen ist dieses Buch eine chronologische Aneinanderreihung von kleinen, oft nur wenige Seiten umfassenden Essays die schlaglichtartig das Leben von Reza und seine kriminelle Entwicklung beleuchten, bis er es mit zwanzig Jahren schafft, sich diesem Leben zu entwinden und nach drei Jahren harter Arbeit und einer Therapie, seine neue Heimat in Berlin findet.
Die knappen Kapitel machen das Lesen kurzweilig und abwechslungsreich, wenngleich auch bisweilen tagebuchartig. Doch zeigt es mir, daß der Autor ein Gunstvoller ist, denn er schenkt uns Lesenden Beobachtungen, Erkenntnisse und Weisheiten in konzentrierter Form, manch anderer Autor hätte diesen Stoff auf 500 Seiten aufgebläht.
Wie mit einer Armbrust aus kurzer Distanz abgefeuerte Pfeile schlagen hier manche Worte und Sätze beim Leser ein. Als wolle uns der Autor mit Gewalt aus dem Sessel kippen, in dem wir es uns nur allzu bequem gemacht haben. So lesen wir teilweise mit offenem Mund voller Entsetzen ob der Gefühls- und Lieblosigkeit, ob der Gewalt einer Parallelgesellschaft. Und dennoch kann ich manche Zwangsläufigkeit wie, daß z.B. der Mangel an Markenklamotten und -schuhen letztendlich in die Prostitution führt, nicht als Automatismus anerkennen. Den Großteil der Gewalt, die in diesem Viertel quasi als Lebenseinstellung zelebriert wird, haben die dort Lebenden durch das Erlebte mitgebracht, sie ist nur teilweise auf das Verhalten der Gesellschaft außerhalb des Aquariums zurückzuführen.
Als Leser komme ich mir fast vor wie ein Boxer. Manche Sätze sind wie ein Schlag gegen die Brust, der mir den Atem nimmt, in den Magen und mich fast zusammenbrechen läßt oder voll auf die Zwölf.
Doch nicht alle Schläge treffen, manche Metaphern, Vergleiche, Wortschöpfungen sind nur angetäuscht, begeistern beim erstmaligen lesen, aber verpuffen, laufen ins Leere und sind bei näherer Betrachtung nicht zu Ende gedacht.
Doch schon lange habe ich mir nicht mehr so viele großartige Sätze, Wortschöpfungen und Metaphern aus einem Buch aufgeschrieben, um ihrer nicht verlustig zu gehen.
Die Eltern haben studiert, doch wird nur das Abitur der Mutter in Deutschland anerkannt und der Vater, Soziologe, muß den Lebensunterhalt nachts mit Taxifahren und tagsüber als Kioskverkäufer verdienen, kreist in sich selbst in der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Fragen wie dem Nationalsozialismus. Doch ein Dialog zwischen Vater und Sohn findet nicht statt.
Seltsam fremd untereinander kommt mir die Familie vor. Was sie im Heimatland erlebt haben, und woher die Gewaltbereitschaft des Sohnes kommt, bleibt im Dunkeln. Vieles bleibt im Dunkeln.
Doch auch Reza treibt die Frage um, in welchem Land er denn da nun gelandet ist und da möchte ich einen Satz zitieren, den er über Deutschland schreibt:
„Dieses Monster, das mal alles um sich herum zu töten versucht hat und jetzt in der Ecke sitzt und sich ritzt in der verlogenen, giftigen Hoffnung, dass ihn die anderen wieder zu sich rufen“
und noch einen Satz, der zeigt, wie er sich in diesem Land fühlt und sieht:
„ Wir sind Stacheln im Fleisch. Eindringlinge. Wo immer wir sind bildet der Körper Eiter um uns. Wir stecken im Körper und berühren ihn doch nicht „
Trotz seiner nur 192 Seiten ist dieses Buch wesentlich gehaltvoller als viele 600 Seiten umfassenden Romane, es wirkt stellenweise wie ein Konzentrat.
Dieser Roman ist ein ganz außergewöhnliches Stück Literatur und ich würde am liebsten 5 Sterne vergeben. Doch da kommt bei mir der Pädagoge durch, der nicht will, daß sich dieser großartige Autor auf fünf Sternen ausruht und der ihm zuruft „Du kannst noch viel, viel mehr. Du hast uns hier viel, aber nur einen Teil deines literarischen Talentes offenbart ! In Dir schlummert ein literarischer Vulkan auf dessen Ausbruch wir einen Anspruch haben !“
Dieses Buch ist meine unbedingte Leseempfehlung.