Rezension

Ziemlich beste Freunde als Liebesgeschichte

Ein ganzes halbes Jahr - Jojo Moyes

Ein ganzes halbes Jahr
von Jojo Moyes

Sie ist seltsam, schrullig, naiv und verfügt über einen bizarren Modegeschmack.
Er musste sein altes Leben völlig hinter sich lassen und kann sich nicht damit abfinden.
Sie sind Lou und Will.

 

Lou ist eigentlich ganz zufrieden: Seit sieben Jahren ist sie mit ihrem Freund zusammen ohne jegliche Verpflichtungen. Sie wohnt noch bei ihren Eltern, die sie finanziell unterstützt. Und ihre Arbeit liebt sie über alles. Doch von einem Tag auf den anderen verändert sich ihr Leben völlig: Überraschend verliert sie ihren Job in dem kleinen Café in ihrer Stadt.
Ohne eine Ausbildung gestaltet sich die Suche nach einer neuen Stelle schwerer als gedacht, sodass sie sich schließlich zu einem Vorstellungsgespräch überreden lässt, bei dem sie sich nur sehr wenige Chancen ausrechnet.
Auf diese Weise lernt sie Will kennen, einen Mann, der nicht mehr so weitermachen kann und will wie bisher.
Bis er Lou begegnet.

 

 

Über Ein ganzes halbes Jahr habe ich schon viel gehört, bevor ich es mir überhaupt gekauft hatte. Viele lobten es als DAS Lesehighlight 2013 und waren ganz begeistert von der Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptpersonen. Das hat natürlich einige Erwartungen bei mir geweckt. Zum Glück waren diese aber scheinbar nicht so groß wie die von anderen, weswegen ich mich auch toll in die Story hineinfinden konnte.
Zum einen ist da natürlich hauptsächlich Lou als Bezugspunkt. Ich muss gestehen, dass ich etwas gebraucht habe, bis ich mit ihr warm geworden bin. Vieles hätte ich vermutlich nicht so gemacht wie sie, doch ich kann ihre Gründe nachvollziehen. Jojo Moyes hat ihren Charakter konsequent entwickelt und schön herausgearbeitet, selbst wenn Louisa dabei das eine oder andere Klischee erfüllt (Mittellos, naiv, muss erst darauf hingewiesen werden, was sie kann). Sie mag zwar nicht die beste Pflegerin für Will sein, wobei ich bezweifle, dass er eine solche jemals näher an sich heran gelassen hätte. Trotzdem ist es gerade das, was es dem Leser leichter macht, sich in sie und die geschilderten Situationen hineinzuversetzen.
Will dagegen, so schwierig er als Mensch auch ist, war mir gerade deshalb wesentlich näher. Ebenfalls nicht vollkommen klischeefrei dargestellt (Reich, gutaussehend, ein Draufgänger), ist er jemand, den man nicht von Anfang an durchschaut, was ihn umso interessanter macht.

 

Der Schreibstil ist recht einfach gehalten, was einem das flüssige Lesen sehr erleichtert. Hin und wieder schadet das jedoch der Atmosphäre, besonders wenn die Perspektive wechselt. Ohne die jeweiligen Überschriften würde man wahrscheinlich gar nicht merken, dass eine andere Figur „spricht“.
Dennoch schafft es die Autorin immer wieder, berührende Momente herzustellen, vor allem in den Szenen zwischen den beiden Hauptpersonen, als sie sich langsam näherkommen. Gepaart mit einem oftmals drastisch zynischem Humor bietet die Handlung schöne Unterhaltung für Zwischendurch, die gerade durch das realistische Ende noch einmal einen Pluspunkt von mir erhält. Ein anderer Schluss hätte aufgesetzt und gezwungen gewirkt und zudem Wills Motive für seine Entscheidung herabgewürdigt. Da man über diese leider nur aus der Sicht seiner Mitmenschen erfährt, erhalten sie auf die Art das Gewicht, das sie meiner Meinung nach verdienen.

 

 

Obwohl die Thematik in Ein ganzes halbes Jahr sehr an den Film und das gleichnamige Buch Ziemlich beste Freunde erinnert, wird sie ganz anders behandelt. Nicht völlig klischeefrei und in einem einfachen Schreibstil, aber mit viel Gefühl erzählt die Autorin über ihre Geschichte über Verlust und Gewinn von Lebensfreude und den Respekt gegenüber den Entscheidungen anderer. Zwei nachvollziehbare, sich langsam entwickelnde Hauptfiguren und einfühlsame Momente machen das Buch zu einem nachdenklich stimmenden Roman, der zwar nicht hundertprozentig perfekt ist, allerdings durchaus zu unterhalten und zu berühren weiß.