Rezension

Zusammenkunft

Zusammenkunft -

Zusammenkunft
von Natasha Brown

Bewertet mit 5 Sternen

Eine junge namenlose Frau, schon früh wird ihr eingetrichtert, der einzige Weg nach vorne ist der Weg nach oben. Sie studiert, erarbeitet sich eine Karriere in der Bank, eine eigene Wohnung. Endlich scheint sie angekommen zu sein, in der Familie ihres reichen Freundes, in ihrem Job bekommt sie eine Beförderung, die sie sich hart erarbeitet hat. Und doch sieht man in ihr nur die Quoten-Frau, die Quoten-Schwarze, die kurze rebellische Phase des weißen reichen Jungen. Täglich ist sie konfrontiert mit offenem oder hinter Nettigkeiten verborgenem Rassismus, mit Sexismus und mit dem Unglauben der Gesellschaft, dass eine Schwarze dazugehören könnte, dass sie nicht zur Unterschicht gehört.

Natasha Brown hat mit Zusammenkunft einen beachtlichen Text geschaffen, der trotz der Kürze messerscharf und perfekt auf den Punkt ist. Anfangs hat mich die unbenannte Protagnostin und der Textaufbau noch etwas verwirrt, doch schnell blickt man hinter die Worte und das Bild, das nach außen projiziert wird. Hinter der (teilweisen) Nüchternheit des Textes steckt eine junge Frau, die stets das getan hat, was von ihr erwartet wurde, die sich einen Platz in der Gesellschaft erarbeitet hat, um das zu würdigen, wofür ihre Vorfahren gekämpft haben. Der einzige akzeptable Weg, war der nach oben, hin zu Geld und Erfolg. Doch man spürt auch ihre Zweifel, ihre Ungewissheit, verursacht durch tägliche Anfeindungen und die Angst mit der sie morgens schon aufsteht. Angst zu versagen, Angst vor dem was sie an ihrem Arbeitsplatz erwartet, ja vielleicht sogar Angst vor dem Leben.

Als ihr Körper sich gegen sie wendet, sieht die Protagonistin eine Chance auszubrechen, sie steht vor einer Entscheidung, die all das, was sie erreicht hat, in Frage zu stellen droht, eine Entscheidung, die sie nicht treffen kann, nicht treffen will, denn auch "Nichts" ist eine Entscheidung. Diese Ungewissheit spiegelt sich auch zunehmend im Text wieder. Die einzelnen Themen verschwimmen miteinander zu einem Ganzen, zu ihrem Leben, das sie mehr und mehr in Frage stellt. Wo steht sie als Individuum in all den Erwartungen, die andere an sie haben, die Schwarze Familie, die stolz auf sie ist, der weiße privilegierte Freund, der sorgenfrei durchs Leben geht. Der sprunghafte Aufbau in "Zusammenkunft" ist auf den ersten Blick ziellos, doch auf den zweiten beschreibt er den Zwiespalt und das gedankliche Chaos, mit dem die Protagonistin ringt.

"Zusammenkunft" ist ein fragmentarischer Text, der mich doch mit jedem Wort mehr mitreißt, mehr hinführt zu dieser jungen Frau, die zerissen wird, von dem Drang aufzusteigen, auch wenn sie selbst dabei der Preis ist, den es zu zahlen gilt. Das wurde auch grandios von Jackie Thomae ins Deutsche übertragen, die es schafft, den Ton genau zu treffen und das Experimentelle des Textes zu übermitteln und zugänglich zu machen. Für alle, die die oben genannten Themen interessieren und die auch mit bruchstückhaften aber präzisen Beobachtungen und Gedankengängen zurecht kommen, sei dieses Buch sehr empfohlen!