Rezension

Ein spannender Ausflug in die Bretagne

Bretonischer Stolz
von Jean-Luc Bannalec

Bewertet mit 4.5 Sternen

Seit fünf Jahren ermittelt der aus Paris zwangsversetzte  Hauptkommissar Georges Dupin nun schon in der Bretagne. Anlässlich seines Dienstjubiläums und seiner bevorstehenden Beförderung zum „Leitenden Kommissar“ ist eine offizielle Feier geplant. Lästig für ihn, dass er zuvor ein mit der Beförderung einhergehendes Fortbildungsseminar besuchen muss. Da trifft es sich gut, dass er auf dem Weg dorthin zu einem Tatort gerufen wird: auf einem Parkplatz in Riec-sur-Belon, am Fuße des malerischen Bélon, dort, wo die weltweit berühmten Austern gezüchtet werden, wurde eine Leiche entdeckt. Diese ist kurz darauf allerdings verschwunden. Einzige Zeugin ist die ältere, ehemals berühmte, Schauspielerin Sophie Bandol, die allgemein als „zuweilen etwas verwirrt“ beschrieben wird. Gab es überhaupt einen Toten? Kommissar Dupin glaubt Madame Bandols Aussage und stürzt sich in die Ermittlungen. Dann wird der Fund einer weiteren Leiche gemeldet und auch den letzten Zweiflern ist klar, dass es tatsächlich einen neuen Fall gibt. Ist der oder sind die Täter unter den Austernzüchtern, unter bretonischen Druiden oder den Mitgliedern einer Bagad, einer bretonischen Dudelsackgruppe, zu suchen. Oder hat der Fall etwas mit dem mysteriösen Sandraub an den Stränden der Bretagne zu tun. Dupin ermittelt fieberhaft.

Innerhalb von nur 3 Tagen, an denen Dupin nur wenig Schlaf, kaum Zeit zum Essen und für sein Privatleben findet, gelingt es ihm den Fall zu lösen. Das klingt nach einem ebenso atemlosen Leseerlebnis! „Bretonischer Stolz“ ist aber, wie auch die vorgehenden Fälle der Reihe in ruhigem Tempo erzählt.

Zusammen mit Kommissar Dupin, dem Franzosen, dem Pariser, der sich auch nach 5 Jahren in der Bretagne immer wieder mit der bretonischen Skepsis gegenüber allem Nicht-Bretonischem auseinandersetzen muss („ Und der Satz „Aus Frankreich ist noch nie etwas Gutes gekommen“ war für ihn längst eine alltägliche bretonische Formel geworden.“ / S. 74), bin ich von Buch zu Buch weiter eingetaucht in die bretonische „Seele“, die Landschaft und Lebensart. Ich habe schmunzelnd erfahren, dass es neben der offiziellen Geschichtsschreibung eine bretonische gibt („Amerika ist den Bretonen zu verdanken! – Wer hat Amerika entdeckt? Bretonische Fischer von der Ile de Bréhat! [...] Die amerikanische Unabhängigkeit? [...] Erkämpft von einem Bretonen! ...“ / S. 99). Genossen habe ich die ausführlichen Schilderungen über keltisches Brauchtum, Mythen, Legenden, Druidenvereinigungen, Feste, Wettbewerbe und den „Interceltisme“, die Verbindung der Regionen Europas, in denen die verbliebenen Kelten heutzutage leben. Überrascht war ich, dass mich detaillierte Beschreibungen über Austern und Austernzucht kein bisschen gelangweilt haben! 

Immer wenn die eigentliche Kriminalgeschichte zu sehr ins Abstruse oder Mysteriöse abzudriften droht, ermahnt Dupin sich zu den Fakten zurückzukehren. An diesen Punkten gewinnt die Geschichte wieder Tempo und Spannung.

Die meist liebenswerten Macken von Kommissar Dupin und seinem Team werden in diesem 4. Buch der Reihe, das man übrigens  auch gut verstehen kann, ohne die ersten 3 zu kennen, wieder aufgegriffen und ausgebaut.  Die Geschichte startet mit einem Ausflug des Pinguinliebhabers Dupin ins Océanopolis in Brest, wird ausgeschmückt durch Riwals detailreiche Erzählungen und ab und zu erschüttert durch die cholerischen Ausbrüche des Präfekten Locmariaquers. Begeistert hat mich auch der fährtenlesende Polizist Brioc L’Helgoualc’h.

Für Thriller- oder Action-Liebhaber ist „Bretonischer Stolz“ sicherlich nicht das richtige Buch. Zu empfehlen ist dieses Buch für Leser, die auf spannende, unterhaltsame Weise, die Besonderheiten der Bretagne entdecken möchten.  Mich hat es angeregt mal wieder „Asterix“ zu lesen, Reiseführer oder –berichte über die Bretagne zu genießen und vielleicht nach vielen Jahren mal wieder ans „Ende der Welt“ zu reisen. Lust bekommen habe ich auch auf die Hörbuchfassung des Romans. Vielleicht lerne ich dann, die richtige Aussprache der keltischen Begriffe!

Ich werde auf jeden Fall wieder dabei sein, wenn Kommissar Dupin in einen neuen Fall ermittelt und seinen Weg vom Franzosen zum Bretonen verfolgen. Dass er auf dem richtigen Weg ist, hat er in „Bretonischer Stolz“ ja bereits bewiesen, als er es endlich geschafft hat eine Auster zu probieren. Weiter so!