Rezension

Tag und Nacht, Licht und Schatten

Wie Sonne und Mond - Nicole Walter

Wie Sonne und Mond
von Nicole Walter

Bewertet mit 3 Sternen

Neid und Missgunst sind ein böses Übel in unserer Gesellschaft und sicher keine neue Erfindung, sondern ebenso alt wie die biblische Geschichte über Kain und Abel. Der Neid auf den Erfolg des eigenen Bruders und die damit einhergehende vermeintliche Herabsetzung des eigenen Wertes vor den Augen Gottes ließ Kain seine Liebe und Verbundenheit zu seinem leiblichen Bruder Abel für einen Augenblick vollkommen vergessen und seine niederen Triebe die Oberhand gewinnen: Er erschlug den Bruder.
Nicole Walter siedelt ihren Roman über die ungleichen Schwestern Birgit und Kira in der Nähe dieser christlichen Erzähltradition an. Kain und Abel liebten und fürchteten ihren Gott, die Schwestern buhlen um die Gunst der Eltern, vor allem der Mutter, und verschwören sich wenn nötig auch gemeinsam gegen ihre Erzeuger. Doch der Mensch ist ein egoistisches Wesen. Er vergleicht sich zu gern mit anderen und schielt neidisch auf die Vorzüge seiner Mitmenschen, die ihm selbst verwehrt wurden. Davor sind auch die Schwestern nicht gefeit, die in ihrer von emotionalen Extremen geprägten Jugendlichkeit diese Unterschiede nur schwer kompensieren können und weitreichende Entscheidungen treffen.
Die jüngere Schwester Kira reist ihrem großen Schwarm Tom nach Ibiza hinterher, die große Schwester Birgit als Anstandsdame im Schlepptau. Kira ist wild und abenteuerlustig, Birgit verantwortungsbewusst, zielstrebig und angepasst.
Während Kira die Welt auskosten will, schlägt bei Birgit und Tom der Blitz ein. Sie verlieben sich ineinander und verbringen noch auf Ibiza ihre erste gemeinsame Nacht. Kira ist auf einer Party auf hoher See und hinterlässt schließlich einen Zettel im Hotel, dass sie einer neuen Liebe hinterher reist.
Nun folgen 20 Jahre der Funkstille. Ab und zu erhalten die Eltern von ihrer Jüngsten eine Postkarte mit einem sich wiederholenden Einzeiler, der bezeugen soll, dass es ihr gut geht. Der Vater stirbt vor Gram, die Mutter verliert ihren Verstand an die Demenz, nur Birgits Familienleben mit Tom im umgebauten Elternhaus scheint perfekt – bis Kira plötzlich unvermittelt vor der Tür steht und alles ins Wanken gerät.
Nicole Walters Roman berührt, wühlt auf und versöhnt. Die Beziehung zur Schwester vermag eng, bereichernd und tiefgründig sein, aber sie ist nicht per se immun gegen Neid und Missgunst. Nur weil der gesellschaftliche Code die Liebe zwischen Geschwister als oberstes Gebot versteht, so ist die Beziehung zwischen ihnen als Liebende ebenso vielschichtig wie zwischen allen anderen Liebenden und bekanntlich liegen Hass und Liebe nah beieinander.
Die Einsicht in die eigenen Schwächen, Stärken und Wünsche und die Aussöhnung mit diesen, geben uns Kraft, um den anderen auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Weisheit hat die Autorin in einen manchmal etwas sperrigen Plot gepackt und kräftig durchgeschüttelt. Als Ergebnis unterhält den Leser ein kurzweiliger Roman über zwei Schwestern, deren Motivation manchmal nachzuvollziehen und manchmal zu sehr aus der Trickkiste für literarische Wendungen zu entspringen scheint.