Rezension

1. Hälfte schwach - 2. Hälfte packend und atmosphärisch

Eisige Schwestern
von S. K. Tremayne

Atmosphärisch dicht, am Anfang schwach, dafür am Ende packend, ein Verwirrspiel um Zwillingsschwestern, eine Familientragödie, Geheimnisse, falsche Schlüsse, Trauer und Anschuldigung, Zweifel, ein Neuanfang und eine Insel.

 

Der Klappentext weckte meine Neugier, hier scheint Potential, Spannung versprochen, ein interessantes Thema und dann wurde die Vorfreude immer schwächer. Der Text zog sich hin, die Banalitäten reihten sich aneinander, der Anfang nahm mir - trotz Tod des einen Zwillings - die schnelle Fahrt, die ich doch aufnehmen wollte. Obwohl der Schreibstil mit schnell in die Geschichte gesaugt hat und auch gut im Griff behielt, wollte die Geschichte selbst so nicht richtig weiterkommen. Etwas Tragisches ist passiert, die Trauerverarbeitung in der Familie ist nachvollziehbar, ein Neuanfang auf der schottischen Insel wird ziemlich detailreich beschrieben. Man kann sich gut in die Figuren hinein versetzten, mit ihnen fühlen, die nächsten Schritte vorhersehen, einfach weil sie logisch sind. Doch die Spannung ist weg.

 

Wer dran bleibt, wird belohnt: Zugegeben, bis in die Hälfte trällert die Erzählung so dahin wie ein kleines Kind auf dem Nachhauseweg vom Kindergarten, das keine Uhr kennt und auch nicht unbedingt schon daheim ankommen will. Ein Kapitel folgt auf das nächste, Dinge passieren, aber nichts konnte mich so richtig packen und ich zweifelte schon ein wenig am Klappentext. Das Verwirrspiel um die Zwillinge läuft zwar (ist Kirstie oder Lydia gestorben? Und wie kam es genau dazu?), die Eltern zerstreiten sich, geblendet von Trauer, Wut und nur kleinen Teilen unterschiedlichen Informationen. Doch ab der zweiten Hälfte kommt die Geschichte in Bewegung - aber dann wirklich! Zur möglichen Verwechslung der Zwillinge kommt ein Sturm auf, im wahrsten Sinne des Wortes, wie auch Anschuldigungen zwischen den Eltern: Depression? Kindsmisshandlung? Bevorzugung von Lieblingskinder? Besondere Verbindungen zwischen Zwillingsgeschwister? Kindespsychologen zur Trauerverarbeitung? Und sogar Geister?

 

Richtig, zu einem Zeitpunkt der Geschichte kommt die Verwirrung so weit, dass sich der Roman zur Geistergeschichte entwickelt. Angst vor paranormalen Geschehnissen oder einfach Angst vor der eigenen Verwirrtheit? Die Sprache ist kaum von einem tatsächlichen Geist, doch die tote Zwillingsschwester lässt die Familie nicht ruhen. Dazu die Bühne einer schottischen Insel, wo die Winter dunkel und kalt sind, der Wind ungehalten und stetig um das Leuchtturmhaus fegt und die lokalen Bewohner der Kleinstadt auf dem Festland tuscheln. Atmosphärisch geladen mit Blitzen und Donner, braut sich ein grosser Knall zum Ende hin zusammen. Obwohl ich Teile des Endes ahnte, die sich auch bewahrheiteten, war die zweite Hälfte doch durchwegs spannend. Beeindruckt hat mich aber vor allem das Ambiente, denn schon lange konnte mich ein Roman nicht mehr so in sich saugen, dass ich doch wirklich Mühe hatte, wieder in die Realität zurückzukehren. Da sass ich also mit dem beendeten Buch, in die Landschaft starrend, während der Wind mir an den Haaren zerrt und mir noch Gedanken zu den unzähligen komplizierten Themen des Romans durch den Kopf jagen.

4 / 5 Sterne