Rezension

1942 in Berlin

Stella
von Takis Würger

Bewertet mit 5 Sternen

Friedrich wird 1922 in der Schweiz geboren und wächst bei einer trunksüchtigen Mutter auf, die gerne Künstlerin geworden wäre. Sie drängt ihn, der durch eine Misshandlung farbenblind geworden war, dazu, Maler zu werden. Nachdem die Ehe der Eltern scheitert, geht Friedrich im Januar 1942 nach Berlin, wo er sich in ein Zeichenseminar einschreibt.

Schon früh hat er gelernt, Farben am Geruch zu unterscheiden. So beschreibt er auch Berlin auf seine Weise: „Berlin roch nach Kohle, nach Harzseife, nach dem Duft der mobilen Holzgasöfen, Bohnerwachs und gekochten Rüben.“ (Seite 37) Kurz nach seiner Ankunft lernt er eine junge Frau kennen, in die er sich unsterblich verliebt.

Der Autor beschreibt Friedrichs Berlinaufenthalt Monat für Monat. Er beginnt mit einer Wochenschau ähnlichen Berichterstattung, schreibt über Friedrichs Erlebnisse und untermalt die Handlung mit Auszügen aus den Feststellungen eines sowjetischen Militärtribunals. Nach und nach wird immer klarer, wer die Beschuldigte ist …

Mich hat das Buch emotional sehr berührt, gerade weil es in einer nüchternen Sprache abgefasst ist. Gefallen hat mir, dass es so nah an der Zeitgeschichte bleibt. Wenn ich Friedrichs Gedanken las, vergaß ich oft, dass er erst zwanzig Jahre alt war: „Ich war ein junger Mann mit Geld und einem Schweizer Pass, der gedacht hatte, in diesem Krieg leben zu wollen, ohne etwas mit ihm zu tun zu haben. Ich war als Urlauber gekommen. Ich war dumm gewesen. Ich schwieg, weil alles, was mir einfiel, falsch erschien.“ (Seite 135 – Juni 1942) oder: „Ich war in dieses Land gekommen, weil ich mir gewünscht hatte, dass die Stärke der Deutschen auf mich überspringt. Ich hatte die Deutschen bewundert.“ (Seite 193)

Auch wenn ich an einigen Stellen das Buch erst mal zuschlagen musste, um den Inhalt zu verdauen, bin ich begeistert von der Art, wie Takis Würger die Geschichte erzählt. Er schreibt so nüchtern und bewirkt damit so viel! Das kommt auf Seite 162 sehr deutlich zum Ausdruck: „In diesem Land sind nur noch die schönen Geschichten Gerüchte. Die hässlichen sind alle wahr.“

Ein Glück, dass wir in einer anderen Zeit leben dürfen!