Rezension

Ein Kunststück

Stella
von Takis Würger

Bewertet mit 5 Sternen

Na sowas, denkt man, wenn man „Der Club“ gelesen hat. Das zweite Buch von Takis Würger ist ein historischer Roman? Ganz was anderes? Kann er das? 
Ja, kann er, sogar souverän und kunstvoll.

Ausgerechnet 1942 beschließt der Schweizer Friedrich, in Berlin Kunst zu studieren. Krieg ist überall, es wird schon nicht so schlimm sein bei den Nazis. 
Er lernt Kristin kennen, die blond, zauberhaft, kapriziös und vielseitig begabt ist und ihm zeigt, wie Liebe geht. Und der smarte Tristan kann sogar französischen Käse auftreiben, obwohl Lebensmittelknappheit herrscht. Als Schweizer, mit finanziellem Polster, kann man es aushalten im Nazideutschland, bis dann doch die Fassade bröckelt. 

In recht kurzen Kapitel liest man hier eine tragische Geschichte, die immer wieder unterbrochen wird durch Auszüge aus Gerichtsprotokollen und höchst aufschlussreiche Meldungen des Tages. 
„September 1942 Wolfgang Schäuble wird geboren… Im Berliner Olympiastadion verliert die deutsche Fußballnationalmannschaft zwei zu drei gegen Schweden…Die SS deportiert tausende Menschen aus dem Ghetto von Litzmannstadt in das Vernichtungslager Chelmo; in den Zügen reisen viele Kinder. Auf dem Europäischen Jugendkongress in Wien sagt der Wiener NSDAP-Gauleiter Baldur von Schirach: „Europa ist ein heiliges Wahrzeichen der Menschheit.“…“ 

Dieses Buch spielt mit einer wahren Geschichte. Stella Goldschlag gab es wirklich und sie war eine so erfolgreiche Denunziantin, dass sie sogar einen Wikipediaeintrag bekommen hat: 

„Stella Goldschlag (* 10. Juli 1922[1] in Berlin; † 1994 in Freiburg im Breisgau)[2][3] war eine jüdische Gestapo-Kollaborateurin, die während des Zweiten Weltkriegs als sogenannte „Greiferin“ untergetauchte Juden (sie wurden „U-Boote“ genannt) in Berlin aufspürte und sie denunzierte.“ 

Takis Würger gelingt hier ein Kunststück. Er macht eine Frau lebendig, die als Ungeheuer in die Geschichte einging und zeigt, dass sie ein Mensch war, der Gründe hatte, Unmenschliches zu tun. Außerdem beleuchtet er eindrucksvoll einen Aspekt der Naziherrschaft, der eher unbekannt ist. Es haben tatsächlich Juden Juden aufgespürt, um ihre eigene Haut zu retten. Kann man sie dafür verurteilen? 

„Stella“ ist ein fein geschriebenes Buch und erzählt eine tragische Liebesgeschichte, ein tiefschwarzes Kapitel deutscher Geschichte und die Geschichte einer unglücklichen Frau. 
„Für meinen Urgroßvater Willi Waga, der 1941 während der Aktion T4 vergast wurde“ lautet die Widmung. Vermutlich gibt es sogar noch eine Geschichte hinter der Geschichte, die einen gruseln lässt. Da wünscht man sich ein klein wenig ein aufschlussreiches Nachwort, auch wenn das Buch ansonsten keine Wünsche offen lässt. Chapeau. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 03. Januar 2019 um 17:42

Tolles Buch. Aber schreckliche Geschichte. Hab die Tage über das Liedchen nachgedacht: "Wer hat den König von Frankreich befreit?" - Idioten! die kein Geschichtsbewusstsein hatten. Hätten sie ihn doch sehr schnell geköpft. Womit ich sagen möchte: die wahren Geschichten sind die schlimmen.