Rezension

Die Frauen hinter dem Oxford English Dictionary

Die Sammlerin der verlorenen Wörter -

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
von Pip Williams

Bewertet mit 5 Sternen

uneingeschränkte Leseempfehlung für einen wundervollen Debüt-Roman

Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts: Die mutterlose Esme wächst quasi unter dem Schreibtisch ihres Vaters auf, der als Lexikograph am ersten Oxford English Dictionary arbeitet. Ab und zu fällt ein Zettel mit einem Wort herunter. Als sie feststellt, dass es sich um Wörter handelt, die Frauen betreffen und von den männlichen Lexikographen nicht für würdig erachtet werden, in den Dictionary aufgenommen zu werden, legt sie eine eigene Sammlung an.

Pip Williams ist in London geboren und in Sydney aufgewachsen. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und leidenschaftliche Autorin eine Reisememoirs, von Artikeln, Buchrezensionen und Gedichten. Ihre Recherchen in den Archiven des Oxford English Dictionary inspirierten sie zu ihrem ersten Roman, der in 14 Sprachen übersetzt wird. „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ ist mehrfach preisgekrönt und stand auf der Shortlist für den Walter Scott Prize for Historical Fiction.

Der Roman wurde ausgezeichnet übersetzt von Christiane Burkhardt, die die Abfolge des englischen Originals durch die Übernahme dieser Begriffe mit anschließender Übersetzung beibehalten hat.

Die Entstehung des ersten Oxford English Dictionary war eine große Aufgabe, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte. Pip Williams las vor einigen Jahren ein Sachbuch, dass die Beziehung des Herausgebers James Murray zu einem seiner produktivsten freiwilligen Mitarbeiter Dr. William Chester Minor zum Inhalt hatte. Dabei stellte die Autorin fest, dass sich nahezu ausschließlich Männer mit der Erstellung dieses Wörterbuches befassten. Sie machte sich auf die Suche nach Frauen und fand sie in untergeordneten Funktionen. Ada Murray, die Ehefrau des Herausgebers, ihre gemeinsamen Töchter Hilda, Elsie und Rosfrith sind ebenso verbürgt wie Edith und Elizabeth Thompson.

Esme, die Hauptfigur dieses Romans, ist eine fiktive Figur. Ihre Mutter ist früh verstorben, so dass sie ihren Vater in das Skriptorium, kurz Scrippy, begleitet. Sie sammelt die Wörter, die keine Aufnahme ins Wörterbuch finden im Koffer ihrer Freundin und Vertrauten Lizzie, dem Hausmädchen der Murrays. Lizzies Schicksal ist eines von vielen jungen Mädchen Ende des 19. Jahrhunderts. Ihre Mutter ist ebenfalls früh verstorben, Lizzie hat keine (Aus-)Bildung und arbeitet von früh bis spät im Haushalt der Murrays. Ihre Treffen mit Esme sind kleine Auszeiten.

Esmes Vater ist mit ihrer Erziehung völlig überfordert. Deshalb schickt er sie in ein Internat und bemerkt nicht, wie sehr seine Tochter dort leidet.

Esmes Lebensgeschichte wird mit der Geschichte der Frauenbewegung verknüpft. Immer wieder nimmt die Autorin Bezug auf historische Ereignisse und bringt sie geschickt in die Handlung ein.

Die Charaktere sind teilweise sehr gut gezeichnet, teilweise bleiben sie etwas im Ungefähren. Auch Esme komme ich nicht so richtig nah. Nicht alle ihre Handlungen sind für mich plausibel und nachvollziehbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Details der Ereignisse im Internat nicht genannt werden und ihr Trauma nur angedeutet wird.

Pip Williams schreibt einen gut lesbaren Schreibstil. Sie beginnt den Roman sehr detailliert, langsam und ruhig. Das passt, wie ich finde, ausgezeichnet zur Erstellung des Dictionarys, die ebenfalls langsam vorangeht, weil jedes Wort, jedes Zitat genauestens überprüft werden muss. Das ändert sich im Verlauf der Handlung, die Zeitsprünge werden größer, das Erzähltempo steigt und der Fokus verlagert sich.

Nicht nur die Frauen sind bei der Erstellung des Oxford English Dictionary unterrepräsentiert, Wörter, die ausschließlich sie betreffen werden ebenso aussortiert wie die der gesprochenen Sprache. Esme sammelt nicht nur die Wörter, die die Männer nicht aufnehmen, sondern auch die, die die Menschen verwenden. Menschen, die nicht lesen und schreiben können. Wörter, die nicht schriftlich festgehalten werden. Einige dieser Wörter lernen wir kennen, allerdings nicht alle, denn Lizzies Koffer ist gut gefüllt.

Nicht nur, dass Pip Williams einen wundervollen Debüt-Roman geschrieben hat, sie setzt allen Frauen, die zur Entstehung des Oxford English Dictionary beigetragen haben, ein Denkmal.

Das Cover ist wunderschön gestaltet. Der Titel erinnert an die verwendeten Zettel, die Truhe und vor allem die Teetasse passen perfekt zum Inhalt.

 

Fazit: ein wundervolles Debüt mit einer uneingeschränkten Leseempfehlung