Rezension

​ Ein Buch wie das Leben: nachdenklich, lehrreich, emotional, mitleidlos und schmerzhaft

Vom Ende der Einsamkeit
von Benedict Wells

Bewertet mit 4.5 Sternen


Inhalt

Im Jahr 2014 erwacht Jules nach einem Motorradunfall im Krankenhaus.
Während er im Bett liegt und sich von seinen Verletzungen erholt, schweifen seine Gedanken ab, bis zu seiner Kindheit in den 80ern, seiner Jugend, den ersten Jahren als Erwachsener. Er erinnert sich an wunderschöne und schrecklich schmerzhafte Erlebnisse, an neue Freundschaften und an getrennte Wege, an aus den Augen verlorene Leidenschaften und philosophiert über das Leben und seinen Platz darin.

Meinung

Schon den Inhalt dieses Buches zusammenzufassen fiel mir schwer, doch eine Rezension zu schreiben erscheint mir wie ein Ding der Unmöglichkeit, denn "Vom Ende der Einsamkeit" liest man nicht wie normale Bücher, man fühlt es, man lebt es.

Von Beginn an wird deutlich, dass der Roman keine einfache, chronologisch erzählte Lebensgeschichte des Protagonisten ist. Es gibt nicht unbedingt einen roten Faden oder ein bestimmtes Ziel, das Jules verfolgt, indem er sich erinnert. Vielmehr sind die beschriebenen Blitzlichter seines Lebens, die von seiner Kindheit ab dem Jahr 1980 bis ins Jahr 2014 reichen, Momente, die ihn als Menschen verändert und seine Persönlichkeit geprägt haben, seien es glückliche Momente mit Familie und Freunden, die Suche nach dem Sinn und dem Platz im Leben, Verlust und Finden einer großen Liebe oder tragische Schicksalsschläge.

Und da er sich vor allem an Momente erinnert, die für ihn von emotionaler Bedeutung sind, ist der Roman auch für den Leser von der ersten Seite an gefüllt mit Gefühlen verschiedenster Art, die Benedict Wells auf eine einfühlsame, poetische und doch niemals schwülstige, teilweise auch grausam direkte Art und Weise transportiert.
In Jules' Leben mögen diese Erlebnisse mit einigen Jahren Abstand stattgefunden haben, für den Leser geschehen sie jedoch innerhalb weniger Stunden, wodurch die Lektüre des Romans zu einer emotionalen Achterbahnfahrt wird.

"Vom Ende der Einsamkeit" ist wohl das Buch, bei dessen Lektüre ich am häufigsten Tränen in den Augen hatte. Und das lag nicht unbedingt daran, dass es durchgehend dramatisch gewesen wäre, sondern einfach daran, dass der Autor ein unglaubliches Talent dafür hat, tief ins Innere seiner Figuren zu blicken und Emotionen und ihre Hintergründe zu beschreiben, die man teilweise von sich selbst kennt, aber noch nie so anschaulich beschrieben gesehen hat.
So habe ich zwar auch mit den Figuren gelacht und hatte Freudentränen in den Augen, doch selbstverständlich ist der Roman auch herzzerreißend grausam - und realistisch. Er handelt von Freundschaft, Liebe und Familie, aber auch von dem Tod geliebter Menschen, der Art, wie jeder einzelne unterschiedlich damit umgeht und wie solche Ereignisse einen Menschen für immer prägen und sich in seinen späteren zwischenmenschlichen Beziehungen widerspiegeln. Und gerade durch den unterschiedlichen Umgang von Menschen mit tragischen Ereignissen sind in diesem Buch auch viele einzigartige und absolut authentische Figuren entstanden, jede von ihnen auf die ein oder andere Art verletzlich und verletzend, aber auch überaus liebenswert.
Und so ist der Roman auch, wenn man als Leser ein vielleicht nicht ganz so dramatisches Leben hatte wie Jules, auch sehr lehrreich, denn er zeigt uns, wie alles und jeder, der uns im Leben begegnet, uns prägen, wie unterschiedlich Menschen damit umgehen und weshalb wir trotz allen tragischen Momenten, aus den Augen verlorenen Lieben und scheinbar ziellosen Phasen immer weiterleben sollten, da das Leben wunderschön und voller Überraschungen ist.

Einen Haken hatte jedoch leider auch dieser wunderbare Roman für mich.
Dadurch, dass Jules von den Ereignissen aus der Sicht seines älteren Ichs im Jahr 2014 berichtet, macht er häufiger, wenn er in seinen Erinnerungen in der Zeit zurückreist, Andeutungen darüber, was später passieren wird. Sätze wie "Niemand hatte den Streit kommen sehen." oder die Bemerkung, es werde bald zu einem Unglück oder einem anderen tragischen Ereignis kommen oder er habe diese und diese Person damals nicht wirklich verstanden, fallen häufiger und wirken manchmal rückwirkend etwas kryptischer und mysteriöser als notwendig. Dabei ist es absolut nicht nötig, in einem so emotionsgeladenen Roman wie diesem noch eine künstliche Spannung aufzubauen.

Fazit

Es fällt schwer zu beschrieben, was dieser Roman mit mir gemacht hat. Er hat mich mitgenommen auf eine emotionale Reise durch das Leben eines ganz normalen Mannes, der und dessen Freunde und Familie einen dennoch so viel zum Thema Verlust, Schmerz, Liebe und Hoffnung lehren können. Ein so kluges und einfühlsames Buch habe ich langen nicht mehr gelesen. Ich vergebe 4,5 Sterne.