Rezension

Eine epische Odyssee der Moderne

Zum Paradies
von Hanya Yanagihara

Bewertet mit 5 Sternen

Hanya Yanagiharas monumentaler Amerika-Roman „Zum Paradies“ ist ein Buch, das seinesgleichen sucht. Auf 900 Seiten werden drei Jahrhunderte amerikanischer (teils fiktiver) Geschichte erzählt und die Schicksale von Menschen ausgebreitet, die alle nur nach einem suchen: ihrem persönlichen Paradies.

 

Das wohl hervorstechendste Merkmal von „Zum Paradies“ ist seine Dreiteilung. Der fast 900 Seiten schwere Roman besteht im Grunde aus drei separaten Romanen, die nur lose miteinander zusammenhängen. Gemein ist ihnen der Schauplatz (ein Haus am Washington Square, New York), Familiennamen und ein scheinbar zufällig verteiltes immer wieder verwendetes Namens-Repertoire. Die Geschichte eines jungen Mannes, der in einem alternativen Amerika des 19. Jahrhunderts eine arrangierte Ehe mit einem älteren Mann eingehen soll; die Geschichte eines jungen Mannes, der während der AIDS-Epidemie im 20. Jahrhundert versucht, sein hawaiianisches Erbe mit seiner Beziehung zu einem älteren, reichen weißen Mann unter einen Hut zu bringen; die Geschichte einer jungen Frau am Ende des 21. Jahrhunderts, die in einem von Pandemien geschüttelten totalitären Staat lebt und eine arrangierte Ehe führt. All diese Geschichten werden von wenigen zentralen Themen zusammengehalten: Selbstbestimmung und Freiheit, Krankheit, Homosexualität und (kulturelle) Identität.

 

Yanagiharas Figuren sind so lebendig, dass sie förmlich aus den Buchseiten zu steigen scheinen. Mit einer atemberaubenden Sprachgewalt erzählt sie Profanes und Essenzielles gleichermaßen. Ihre Charaktere sind zugleich dreidimensionale, runde Charaktere mit einem tiefen Seelenleben und Platzhalter für das allgemein menschliche Streben nach einem Sinn, der tiefen Sehnsucht nach etwas Unbestimmten, das sie alle „das Paradies“ nennen. In dieser Sehnsucht sind sie miteinander verbunden, und zugleich auch mit uns Lesenden, die wir diesen Wunsch nach Mehr und die Hilflosigkeit beim Erreichen dieses unbestimmten Ziels nur allzu gut nachvollziehen können.

 

Trotz ähnlicher Themenwahl fühlen sich die drei Teile des Romans auch unterschiedlichen Genres zugehörig, was die „Allgemeingültigkeit“ der menschlichen Existenz, wie sie hier dargestellt wird, weiter unterstreicht. Teil 1 erinnert an einen Jane-Austen-Roman unter umgekehrten Vorzeichen mit einer klassischen romantischen Heldin in Gestalt eines Mannes. Teil 2 ist in vielerlei Hinsicht eine Tragödie, ein Roman, der wenig Raum für Hoffnung lässt. Das Buch endet fulminant in einer waschechten Dystopie im dritten Teil, die vielleicht (auch aufgrund ihrer verhältnismäßig größeren Länge) den Höhepunkt des Buches darstellt.

 

„Zum Paradies“ ist sicher keine leichte Kost, zugleich aber ein Roman, der einen unwiderstehlichen Sog aufbaut, dem man sich nicht entziehen kann, der es schafft, seine Figuren zum Leben zu erwecken und uns Lesenden ganz nah zu bringen. Ein echtes Meisterwerk!