Rezension

Zum Paradies und noch viel weiter

Zum Paradies
von Hanya Yanagihara

Bewertet mit 4 Sternen

Hanya Yanagihara entwickelt sich andauernd weiter. Während ihr Debüt „Das Volk der Bäume“ Norton Perina in den Mittelpunkt stellte, weitete sie in ihrem 2015 erschienen Roman „Ein wenig Leben“ den Kreis auf die einzigartige Freundschaft von vier Männern aus. Sechs Jahre danach spannt sie mit „Zum Paradies“ einen Bogen um Jahrhunderte und Familiendynastien und versucht in all dem einen gemeinsamen, immerwährenden Nenner zu finden.

 

Viele Jahre nach „Ein wenig Leben“, was Leser:innenherzen zerstörte und süchtig machte, erwarten Tausende ein weiteres hochemotionales Meisterwerk, bereiten sich emotional gar vor auf den inneren Schmerz, der wiederkommen wird. „Zum Paradies“ verhält sich hingegen anders als die bisher erschienenen Bücher der Autorin. Es ist weder eine Charakterstudie, noch eine zeitlose Erzählung eines besonderen Freundschaftsbündnisses. Vielmehr schafft sie hiermit einen monumentaleren Roman: Mehr Charaktere, mehr Schauplätze, mehr Regeln, mehr Verbote, aber (!) weniger Namen, als man zuvor denkt. Denn die Namen der Hauptpersonen kehren immer wieder, das macht die scheinbar unabhängigen Abschnitte der verschiedenen Jahrhunderte nicht eindeutiger, sondern erschwert eine schnelle Zuordnung der Personen ohne einzigartigen Namen.

 

Es könnte das Haus am Washington Square sein, welches der eigentliche Protagonist des Buches ist. Dieser Ort verbindet 1893, 1993 und 2093. Jedes Jahrhundert, dessen Geschehnisse Yanagihara fiktionalisiert, steht für sich und findet vermutlich eigene Fans. Buch 1 offenbart, wie eloquent die Autorin ist und wie meisterhaft sie es versteht, das Ende des 19. Jahrhunderts allein durch die Sprache - und endlose Schachtelsätze - fühlbar zu machen. Das zweite Buch ist unserer Zeit wohl am nächsten und präsentiert die unaufregendsten Ereignisse, denn das dritte Buch dreht sich um eine Pandemien (Plural!), Isolation, Angst, Freiheitsdrang und all das, was man 2022 nachvollziehen kann. Sie entwickelt ein Zukunftsszenario, das erst Ende des 21. Jahrhunderts spielt, aber in den Köpfen der Menschen bereits stattfand.

 

Hanya Yanagihara schafft mit „Zum Paradies“ erneut ein großes Werk über Identität, Herkunft, Sexualität, Großeltern (ja, wirklich), Bedürfnisse und das Paradies, das wir alle finden können und manchmal nicht da liegt, wo wir es vermuten