Menschen, getragen von dem Wunsch nach Freiheit und Liebe
Bewertet mit 3 Sternen
In ihrem neuen Roman “Zum Paradies” begibt sich Hanya Yanagihara auf die Suche nach dem Großen, nach dem Epochalen. Sie geht der Frage nach, wie Geschichte Menschen prägt, wo sie sie hinträgt, welche Spuren sie hinterlässt. Aber es geht auch um das, was uns als Menschen ausmacht, um unsere Sehnsüchte, um den Wunsch nach Erfüllung und um die Grenzen, die durch die Gesellschaft und die Familie gesetzt werden. Und schließlich dreht sich das Erzählte um das Zwischenmenschliche, darum, wie wir uns aufeinander zubewegen und lieben, uns zu kennen glauben und wie doch Distanz zwischen uns herrscht.
“Was war das Leben wert, wenn es ihm nicht eine noch so geringe Aussicht bot, das Gefühl zu haben, dass es wirklich ihm gehörte, dass es bei ihm lag, es zu meistern oder zu zerstören, es wie Lehm zu formen oder wie Porzellan zu zerschlagen.”
In drei Teilen, die jeweils hundert Jahre auseinander liegen und lose miteinander verbunden sind, da sie alle am Washington Square in New York spielen, entfaltet Yanagihara diese Themen. Beginnend in einem alternativen 19. Jahrhundert und endend in einer dystopisch anmutenden Zukunft, widmet sie sich Freiheit und Liebe, Identität und Fremdsein, Rassismus und Kolonialismus, Freundschaft und Familie. Yanagihara versucht mit diesem Roman, den Blick ins Innere zu richten, zum Kern des menschlichen Wesens vorzurücken und dabei den Minderheiten und den an den Rand Gedrängten eine literarische Stimme zu verleihen. Ihr Stil, der sich durch Detailreichtum und durch eingehende Beschreibungen auszeichnet, trägt dazu bei, dass sich die erzählte Welt vor den Augen des Lesers ausdehnen kann und dabei stets fassbar bleibt.
Der Roman hat in thematischer Hinsicht das Potential zur Großartigkeit. Doch drei einzelne Geschichten machen noch längst keinen Roman. Die Verknüpfungen durch gleiche Namen und Orte reichen nicht aus, um genug Tiefe und Bedeutung entstehen zu lassen. Durch die Brüche zwischen den drei Teilen haften auch den Figuren nicht genug Farbe, nicht genug Schattierungen an. Sie wirken teilweise sogar flach und stehen damit im starken Kontrast zur Fülle ihrer Umgebung.
“Zum Paradies” ist stellenweise groß, stellenweise fesselnd. Aber eben nur stellenweise. Letztlich strebt der Roman nach mehr, als er zu erreichen im Stande ist.