Rezension

Freud und Leid in Holt

Abendrot
von Kent Haruf

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Heimkehren nach Holt, ein Treffen mit alten Bekannten und Kennenlernen neuer Freunde – das sind für mich die Bücher von Kent Haruf.

Wir sind wieder in Holt, einer verschlafenen Kleinstadt in der endlosen Weite Colorados, und treffen dort zunächst auf alte Bekannte. Es sind zwei Jahre vergangen seit die McPheron-Brüder die schwangere 17jährige Victoria, die von ihrer Mutter verstoßen wurde, bei sich aufgenommen haben. Die beiden alten Männer sind kaum wieder zu erkennen, Victoria und ihr Kind haben Glück und Freude in ihr Leben gebracht und ihrem Dasein einen Sinn gegeben. Wenig Freude hat die Familie Wallace, die in einem alten Container am Rande von Holt mit zwei Kindern von Sozialhilfe lebt. Das älteste Mädchen wurde in einer Pflegefamilie untergebracht. Ganz schlimm wird die Situation, als sich der Bruder der Frau, ein entlassener Sträfling, bei ihnen einnistet. Im Rausch verprügelt er ständig die Kinder und die Eltern sind nicht in der Lage, dies zu verhindern. Dann ist da noch DJ, ein elfjähriger Junge, dessen Mutter bei einem Autounfall ums Leben kam und dessen Vater auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Er lebt jetzt bei seinem alten Großvater, kümmert sich liebevoll um ihn und führt ihm den Haushalt. Etwas Freude bringt Dena, ein gleichaltriges Nachbarmädchen in DJs Leben. Um dem tristen Alltag zu entfliehen treffen sich die beiden Kinder in einer verlassenen Scheune, die sie gemütlich eingerichtet haben. Doch Freud und Leid liegen eng beieinander. Es kommen weitere Personen hinzu, kreuzen für einige Zeit den Weg unserer Protagonisten und nehmen Einfluss auf deren weiteres Schicksal …

Der Roman „Abendrot“ des US-Schriftstellers Kent Haruf (1943-2014) erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel „Eventide“ in New York und wurde nun, 2019, in deutscher Sprache vom Diogenes-Verlag herausgebracht. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen und für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt.

Es sind die einfachen Leute, ihr tägliches Leben und ihre alltäglichen Sorgen und Mühen, über die der Autor in seinen Büchern so stimmungsvoll erzählt. Dabei ist sein Schreibstil als ruhig und distanziert zu bezeichnen. Es gelingt ihm großartig, Gefühle einfach und schön auszudrücken. Er fesselt den Leser an die Geschichte, ohne unnötige Spannung entstehen zu lassen. Nach kurzer Zeit hat man sich auch daran gewöhnt, dass die wörtlichen Reden nicht durch Satzzeichen hervorgehoben sind. Kurze Kapitel und knappe Dialoge erzeugen mit sparsamen Worten das unbestimmte Gefühl, dass bald noch etwas Entscheidendes passieren wird. Bemerkenswert ist der meist liebevolle und feinfühlige Umgang der Protagonisten untereinander. Doch man findet auch andere Töne. So kann man einige Szenen durchaus als kalt und hartherzig, ja manchmal sogar als brutal bezeichnen. Dennoch ist es ein Buch, das zufrieden und glücklich macht - das ich sehr gerne gelesen habe und sicher noch einmal zur Hand nehmen werde.