Rezension

Jetzt schlägt Silvies Stunde der Wahrheit

Die Schwestern vom Ku'damm - Brigitte Riebe

Die Schwestern vom Ku'damm
von Brigitte Riebe

Bewertet mit 5 Sternen

1952 Berlin. Deutschlands Wirtschaftswunder beschert dem Kaufhaus der Familie Thalheim steigende Geschäftszahlen. Es wird von der Bevölkerung gut besucht, das Sortiment wird ständig erweitert. Grund genug für Rike, ihre Prioritäten neu zu setzen und sich etwas mehr auf ihre eigene Familie zu konzentrieren. Schwester Silvie liebt ihre Stelle als Rundfunkredakteurin beim RIAS und hat mit einem eigenen Sendungskonzept Erfolg. Das Familienkaufhaus spielt bei ihr keine große Rolle. Als ihr Zwillingsbruder Oskar nach 7 Jahren aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause zurückkehrt, soll er dem Wunsch des Vaters Friedrich entsprechend, in die Leitung des Kaufhauses einzusteigen, obwohl Rike all ihre Kraft und auch ihr Geld in den Wiederaufbau gesteckt hat. Oskar hat mit der Arbeit nicht viel am Hut, eher ist er den nächtlichen Vergnügungen und dem Geldrauswerfen zugetan, hat er doch Nachholbedarf nach den zehrenden Kriegsentbehrungen und mit all seinen Dämonen im Kopf. Eigentlich sollte Silvie Rike beistehen, doch Oskar ist sie durch die Geburt mehr verbunden, so dass sie sich nicht einmischen möchte. Als das Kaufhaus durch Oskars Eskapaden in eine Schieflage gerät, ist es ausgerechnet Silvie, die sich der Herausforderung stellt und sich für die Familie und das Kaufhaus einsetzt…

Brigitte Riebe hat mit „Wunderbare Zeiten“ die Fortsetzung ihrer Ku’damm-Trilogie um die 3 Thalheim-Schwestern vorgelegt und wieder einmal einen Pageturner zum Niederknien hingelegt. Der Schreibstil ist flüssig-leicht, atmosphärisch-dicht, bildhaft und gefühlvoll, der Leser wird direkt in die Handlung hineingeworfen, darf sich erneut als unsichtbarer Gast unter die Familie Thalheim mischen, um deren Geschicke hautnah mitzuerleben und sich von den unterschiedlichsten Alltagsdramen fesseln lassen. Die Autorin hat wieder einmal exzellent recherchiert und den historischen Hintergrund mit ihrer Geschichte verwoben, so dass der Leser sich bei der Lektüre zeitversetzt wähnt in die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders, der politischen Lage, der Teilung Deutschlands und die Wiederaufbauphase von Berlin, während in seinem Kopf regelrecht ein Film abläuft und man die alten Songs von Elvis, Bill Ramsey und Peter Kraus im Kopf hat. Die Hauptrolle des Romans steht diesmal der mittleren Schwester Silvie zu, die keinerlei Ambitionen hat in Bezug auf das Kaufhaus. Riebe lässt die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Familie wunderbar lebendig werden und zeigt den Zusammenhalt dieses Konstrukts auf, wenn es hart auf hart kommt. Auch der Rolle der Frau zum damaligen Zeitpunkt lässt sie eine Entwicklung zukommen, Silvie verkörpert hier den Typ der selbstbewussten und modernen Frau mit eigenem Beruf und selbständigen Entscheidungen.

Die Charaktere wurden nicht nur individuell ausgestaltet, sondern auch mit viel Leben versehen. Sie wirken durchweg glaubwürdig und realitätsnah, wodurch sie sich in das Herz des Lesers stehlen, ihn in ihre Mitte nehmen und ihn an ihrem Leben teilhaben lassen, wobei er auch die gesamte emotionale Bandbreite miterlebt, durch die Protagonisten mitmachen. Silvie ist eine selbstbewusste und starke Frau, die auch mal schwach wird, sich aber immer wieder auf die Beine kämpft und für die Dinge einsteht, die ihr wichtig sind. Sie ist ein Freigeist, versprüht eine Lebenslust und einen Optimismus, der den Leser einfach für sie einnehmen muss. Oskar hat die Kriegsgefangenschaft überlebt und will nun nicht nur alles nachholen, was er verpasst hat, sondern kämpft auch gegen die hässlichen Bilder in seinem Kopf an, die ihm vom Krieg und den Erlebnissen geblieben sind. Rike ist eine Kämpferin und eine gute Geschäftsfrau, doch ihre Prioritäten verschieben sich aufgrund ihrer Ehe. Miriam ist Jüdin und eine enge Freundin der Thalheim-Schwestern. Sie ist ein kreativer Kopf und zaubert die schönsten Kleider. Florentine ist die jüngste Thalheim, die so langsam erwachsen wird und ihre Grenzen austestet. Aber auch Wanja oder Vater Friedrich spielen in diesem Buch eine Rolle, die nicht zu unterschätzen ist.

„Wunderbare Zeiten“ ist wieder einmal ein Highlight im Kreise der Familie Thalheim. Brigitte Riebe bringt ihre Leser/Innen wieder nächtelang um den Schlaf, weil man sich nicht von den ans Herz gewachsenen Protagonisten trennen möchte. Mit viel Liebe zum Detail bekommt man nicht nur eine wunderbare und gefühlvolle Handlung präsentiert, sondern darf auch eine Zeitreise in die Berliner Nachkriegszeit und den Wiederaufbau antreten. Wieder einmal gilt – nicht nur gekonnt, sondern geradezu grandios erzählt. Ein absoluter Lesegenuss - Chapeau!