Rezension

Kulturelle Reise in den hohen Norden

Das Leuchten der Rentiere -

Das Leuchten der Rentiere
von Ann-Helén Laestadius

Bewertet mit 4 Sternen

Dieses Buch zeigt für mich wieder einmal ganz deutlich, wie wunderbar Literatur dazu beitragen kann, andere Kulturen kennenzulernen und Empathie für andere Lebensweisen zu entwickeln. Ann-Helén Laestadius ist eine schwedische Journalistin und gebürtige Sámi. Als Angehörige des einzigen indigenen Volkes Europas, dem Volk der Samen aus dem hohen Norden Skandinaviens, erzählt sie die Geschichte einer jungen Sámi, Elsa, und erzählt gleichzeitig eine noch viel größere Geschichte.

Elsa ist neun Jahre alt als sie dem Mörder ihres Rentiers noch am Tatort begegnet. Er droht ihr, sie schweigt aus Angst und die Morde an Rentieren gehen weiter. Sie muss beobachten wie ihre Familie und ihre Freunde, die sich wie viele Samen mit Haut und Haaren der Rentierhaltung verschrieben haben, immer mehr unter der Bedrohung der Rentierherden leiden. Nach schwedischem Recht gelten diese Tierquälereien aufgrund des Privatbesitzes der Tiere lediglich als "Diebstahl" ("stöld" lautet der Originaltitel), die örtliche Polizei bagatellisiert die Vorfälle und verfolgt die Täter nicht weiter, auch aus der nicht-samischen Bevölkerung schlägt ihnen Unverständnis und sogar Hass entgegen. Als die Situation sich dramatisch zuspitzt, muss Elsa all ihre Kraft aufwenden, um sich der Situation endlich stellen zu können.

Auf knapp 450 Seiten macht Ann-Helén Laestadius die Lebenswelt der Samen erfahrbar. Für mich war es weniger die vordergründige Handlung, die den Wert dieses Buches ausmacht, auch wenn diese größtenteils durchaus ansprechend erzählt war. Es hätten allerdings gerne 150 Seiten weniger sein dürfen, um im Mittelteil einige Längen zu vermeiden, und die Perspektivwechsel zwischendrin waren für mich nicht stringent und haben mich jedes Mal ein wenig aus dem Konzept gebracht. Der letzte Teil hätte auch gerne ohne magischen Realismus auskommen dürfen - hier hatte ich den Eindruck, dass er weniger die Geschichte stützt sondern eher die Autorin bei der Konstruktion des Endes. Die kulturellen Hintergründe allerdings sind dermaßen spannend, dass ich begleitend zum Buch mehrere filmische Dokumentationen zur Rentierhaltung der Samen gesehen habe. Die Ignoranz der Behörden, die Vorurteile in der Bevölkerung, die zusätzlichen Schwierigkeiten durch den Klimawandel, die belastenden Identitätskonflikte junger Menschen, die zu Suiziden führen können, haben genauso ihren Platz im Buch wie die Traditionen und Werte der indigenen Bevölkerung. Die vielfältigen Themen treten souverän auf und verbinden sich harmonisch miteinander. Insgesamt eine Empfehlung für alle, die sich vom Leben im hohen Norden angezogen fühlen!