Rezension

Leider zum Ende etwas schwach

Das Nest - Cynthia D'Aprix Sweeney

Das Nest
von Cynthia D'Aprix Sweeney

Bewertet mit 3.5 Sternen

„Das Nest“ wurde die in Aussicht stehende Erbschaft beinahe liebevoll von den vier Geschwistern und ihren Eltern genannt. Ihr Vater, inzwischen längst verstorben, wollte jedem seiner Sprösslinge an Melodays 40. Geburtstag eine kleinere Summe überlassen. »Nichts Großes«, erklärte er mehrfach, »ein bescheidenes Polster, sicher angelegt, so dass ihr etwas davon habt, aber nicht alles auf einmal ausgeben könnt.« Was zu Anfang natürlich keiner ahnen konnte, der Anlagefond entwickelte sich über die Jahre prächtig. Schon bald würde jeder der Geschwister über einen Betrag jenseits der 500.000 $ verfügen. Also, raus mit der Kohle! Schließlich ist ja genug da. Melody, verheiratet mit Walter, dem das ganze Nestgeschwafel auf die Nerven geht, Hausfrau und Mutter von Zwillingen, steckt einen Teil des Geldes vorab ins gemeinsame Haus. Der Rest rinnt ihr über einen Umweg über die zweite Kreditkarte, von der ihr Mann nichts ahnt, dann ganz geschmeidig durch die Finger. Macht ja aber nichts, die Erbschaft ist ja in greifbarer Nähe. Ähnlich macht es Jack. Seit Jahren betreibt er seinen eigenen kleinen Antiquitätenladen, den er mit Müh und Not ohne Miese über den Monat bringt. Sein Mann Walker ist quasi Alleinverdiener in der Beziehung und hat keine Ahnung davon, dass Jack bereits die Hälfte des in Aussicht stehenden Nestes ausgegeben hat, um sein Geschäft vor dem Ruin zu bewahren. Auf dem gemeinsamen Sommerhaus lastet eine beachtliche Hypothek, von der Walker nichts weiß … Bea hingegen scheint in der Zeit gefangen. Sie trödelt als Angestellte eines Verlages vor sich hin, während ihre angestrebte Karriere als Schriftstellerin noch drei Kurzgeschichten vor Jahren erstarrt zu sein scheint. Aber stille Wasser sind bekanntlich tief.

Bleibt Leo, der Erstgeborene. Auf einer Party lädt er sich, berauscht von Drogen und Alkohol, die junge Kellnerin Matilda in den gemieteten Porsche, den er sich eigentlich nicht leisten kann. Als es zum Crash mit dem entgegenkommenden SUV kommt, ist Leo kurz abgelenkt: Matilda hat ihre Hand in seiner Hose. Der Unfall hat schmerzhafte Konsequenzen für beide: Leo verliert seine Ehefrau, deren er allerdings eh schon überdrüssig war, und Matilda einen ihrer Füße. Um die Angelegenheit keine großen Wellen in der Öffentlichkeit schlagen zu lassen, handelt Mutter Francie, die Einzige, die früher an das Geld aus der Erbschaft kommt, pragmatisch und zahlt an Matilda und Leos zukünftige Exfrau eine Summe von 2 Mio. Dollar. Von den verbleibenden 200.000 $ bekämen dann alle je ein Viertel, denn natürlich muss auch Leo bedacht werden. Das Kind, das ihr als einziges wenigsten ein bisschen ans Herz gewachsen schien. „Dass Leo es derartig vermasselt hatte, war erschreckend, aber, da waren die Geschwister sich leider einig, nicht überraschend. Dass sein idiotisches Verhalten ihre abwesende Mutter dazu gebracht hatte, Gebrauch von ihrer Vollmacht zu machen und das Nest quasi auszuräumen, war allerdings ein Schock. Damit hatte nun wirklich keiner von ihnen gerechnet. Es war einfach undenkbar.“

Cynthia D'Aprix Sweeney hat einen sehr erfrischenden und zugleich bitterbösen Roman über gesellschaftliche Werte und familiären Zusammenhalt geschrieben. Haupt- und Nebenfiguren, denen allen Raum für eine persönliche Entwicklung gegeben ist, vereint ein Credo: Niemand kehrt sein Inneres nach außen. Mögen die Probleme noch so groß sein, die Schwierigkeiten unüberwindbar erscheinen: Das Bild von der heilen Welt wird aufrecht erhalten, mag man sich auch noch so nahe stehen. Da durften dann aber auch ein paar Klischees nicht fehlen: Der schwule Jack war ein bisschen zickig und die Hausfrau Melody hat über eine App, liebevoll Stalkerville genannt, ihre beiden Töchter auf Schritt und Tritt verfolgt. Wer immer ein bisschen Schadenfreude in den Tiefen seiner Seele hat, wird ganz sicher das ein oder andere Mal auch schmunzeln können.

Leider hat der Roman nicht die Tiefe erreicht, die ich mir nach einem wirklich guten Anfang versprochen hatte. Das Ende hatte dann leider auch einen leichten „Zuckergussüberzug“. Schade, aber die Lektüre war es alle Mal wert.