Rezension

Zu viele Nebenschauplätze und zu wenig Zusammenhang

Das Nest - Cynthia D'Aprix Sweeney

Das Nest
von Cynthia D'Aprix Sweeney

Bewertet mit 2 Sternen

Leo, Bea, Melody und Jack sind Geschwister mittleren Alters und das ist auch schon fast die einzige Gemeinsamkeit, die sie haben. Die zweite Gemeinsamkeit ist das Erbe, was sie erwarten wenn die Mutter das Zeitliche segnet, was aber noch nicht akut ist. Was aber schnell akut wird ist, dass Bea, Melody und Jack herausfinden, dass Leo schon vorab Zugriff auf das Erbe hatte und dieses fast vollständig aufgebraucht hat. Sie erfahren, dass das Nest, wie sie ihr Erbe liebevoll betiteln, nicht mehr verfügbar ist und versuchen Leo dazu zu bewegen, es ihnen zurückzuzahlen. Doch Leo hat ganz andere Sorgen und Lebenspläne und schert sich nicht um die Bedürfnisse seiner Familienmitglieder sondern nur um seine eigenen.

Dass Leo überhaupt Geld vom Nest erhalten hat, sorgt für großes Ärgernis in der Familie aber was geschehen ist, ist geschehen. Aber wie können die 3 anderen Geschwister jetzt ihr Leben auf die Reihe bekommen? Haben sie nicht alle auf ihre eigene Art die Sicherheit des Geldes genossen? Haben sie sich nicht alle in gewisser Weise darauf ausgeruht und jeden Fehltritt in ihrem Leben damit wieder relativiert? Ganz nach dem Motto „Das Nest wird es schon richten“.

 

„Das Nest“ umfasst so viel: Eine sehr komplexe Familienstruktur und anhängig 4 Familien- bzw. Beziehungskonstrukte, die davon mehr oder weniger abhängig sind. Einzelne Menschen, die für sich gesehen werden müssen und im Gesamtbild der Familie. Einzelschicksale, wie sie nicht verschiedener sein könnten und doch haben alle gemeinsam, dass sie das Nest zu ihrer persönlichen Sicherheit brauchen. Sie verlassen sich auf Geld, das ihnen noch gar nicht gehört. Sie streiten sich um dieses Geld und bauen ihre Leben darauf auf. Sie warten darauf, dass das Nest alle ihre Probleme löst.

Aber Geld kann nicht alle Probleme lösen und Geld, welches einem noch nicht gehört, schon mal gar nicht. Vielmehr schafft es zusätzliche Probleme, wenn es nur ein Versprechen bleibt, das nicht eingelöst werden kann.

So komplex wie der erste Satz (JA, der ist wirklich so lang!), so komplex ist das ganze Buch. Während des Lesens habe ich mir gedacht, dass es bestimmt eine Weile dauert bis ich die Familienstruktur und die einzelnen Verflechtungen innerhalb der Kindes-Familien verstanden haben werde. Dass es nur etwas Zeit braucht damit ich mir alle Namen merken kann und verstehe, wohin der Handlungsstrang mich führen wird.

Leider – und ich muss wirklich leider sagen denn ich hatte doch schon relativ hohe Erwartungen nach dem Klappentext – habe ich auch nachdem ich das Buch beendet habe, noch nicht mal ansatzweise verstanden, wieso diese 400 Seiten nötig waren. Was ist die Essenz des Buchs? Dass man sich nie auf ein Erbe verlassen soll, dass man seine Probleme selbst in den Griff kriegen muss und dass Geld nicht alles ist? Okay, das verstehe ich und das kann das Buch auch vermitteln. Aber die Storys drum herum? Es gibt so so so viele Nebenschauplätze, die ins Leere laufen. Die Potential gehabt hätten und mit Sicherheit auch wahnsinnig gut ausgearbeitet wurden. Aber die plustern das Buch leider künstlich so sehr auf, dass mir zwischenzeitlich jeder rote Faden verloren ging.

Leider – und auch hier wieder das leider denn ich finde es wirklich schade – konnte ich auch mit den Protagonisten sehr wenig anfangen. Der egoistische Leo und die beiden jungen Töchter von Melody waren mir hierbei noch am sympathischsten aber auch sie waren für mich austauschbar. Keiner der Protagonisten hat es geschafft, sich mir ins Gedächtnis zu brennen. Ich musste für diese Rezension alle Namen nachschlagen denn das Buch habe ich schon vor ein paar Wochen beendet und so wenig ist mir im Sinn geblieben.

Ich hatte das Gefühl, dass die Autorin sich übernommen hat. Das Grundgerüst des Buchs ist wirklich toll und ich kann auch verstehen, dass „Das Nest“ als großer Familienroman einschlagen soll. Aber es ist zu viel. Zu viele Protagonisten, zu viel Nebenschauplätze, zu viel Abgründe, zu viel unsympathische Charaktere, zu lange Sätze, zu wenig Zusammenhang zwischen den einzelnen Handlungssträngen.

Die unterschiedlichen Blickwinkel sind zwar angenehm beim lesen und ich mag dieses Stilmittel grundsätzlich super gerne. Aber man kann es scheinbar auch übertreiben und mich als Leser damit an einem bestimmten Punkt nur noch mehr verwirren.

Ich bin mir wirklich unsicher, was das Problem bei der Handlung ist: Hatte die Autorin zu viel Zeit oder zu wenig für die Ausarbeitung? Oder hab ich das Buch einfach zur falschen Zeit gelesen? Das werde ich wohl nie erfahren und ich fürchte auch, dass ich auch nichts mehr von Sweeney lesen werde, so schade ich es auch finde.

Ich kann leider nur 2 von 5 Sternen vergeben.