Rezension

Man könnte es auch "Die Geschichte der Bäume" nennen.

Das Flüstern der Bäume - Michael Christie

Das Flüstern der Bäume
von Michael Christie

Diesen Roman von Michael Christie könnte man auch "Die Geschichte der Bäume" nennen, da er auf den ersten Blick die Elemente eines "klassischen" Maja Lunde-Romans aufweist. Eine Mitte-30jährige Protagonistin, welche in einem Luxusnaturferienressort in Kanada arbeitet, wird mit dem Tagebuch ihrer Urgroßmutter konfrontiert und erfährt dadurch erstmals etwas über ihre Familiengeschichte. Die Familie ist stark mit dem Abholzen kanadischer Wälder verbunden ebenso wie mit dem Schutz ebendieser. Die Geschichte der Familie, die im Buch bis ins Jahr 1908 zurückreicht, wirkt sich noch bis ins Jahr 2038 aus.

Im ersten Moment ähnelt der Roman damit sowohl durch den Plot sowie die erzählerische Metaebene betreffend der zunehmend durch den Menschen zerstörten Natur und der Auswirkungen dessen auf unsere Zukunft dem "Lunde-Prinzip". Auch der hier und da etwas zu plump erhobene Zeigefinger zu unserer Zerstörungswut erinnert an genannte Besteseller-Autorin. Man macht es sich jedoch zu einfach, wenn man dieses Buch als einfachen Abklatsch abtut. Denn tatsächlich geht Christie meiner Ansicht nach methodisch kreativer an die Thematik heran. Dies wird bereits optisch klar, wenn die "Kapitelübersicht", die dem Text vorangestellt ist, auf dem Querschnitt eines Baumstammes beruht und die Jahreszahlen vom linken Rand (der "jüngsten" Rindenschicht) mit 2038 beginnen, dann über mehrere Markierungen und Jahreszahlen hinweg bis zum Mittelpunkt "1908" abgetragen werden und dann nach rechts dasselbe spiegelverkehrt passiert. Genauso wie ein Baumstamm ist das gesamte Buch aufgebaut. Kommt man in der Mitte des Buches an, befindet man sich in 1908 und bewegt sich dann mit neuen Informationen zur Familie wieder auf 2038 zu. Das ist spannend gemacht und hat mir sehr gefallen. Eine ähnliche Erzählstruktur ist mir bisher noch nicht begegnet. Ebenso wie das formelle Konzept hat mich auch die gesamte Aufmachung des Buches überzeugt. Das Buch ist optisch wie haptisch gut durchdacht und es macht einfach Spaß es in Händen zu halten. Auch das Lesen macht über weite Strecke richtig Spaß. Gerade im Mittelteil des Buches entwickelt es sich zu einem spannenden Pageturner um die Familienhistorie. Die Protagonisten werden emphatisch dargestellt und ihre Geschichten berühren jeweils auf ihre eigene Weise. Leider wir das Leseerlebnis, durch die hanebüchene Rahmenhandlung, welche in 2038 erzählt wird, deutlich geschmälert. Was in der Historie noch herausstechende Zufälle sind, verkommt in der "Zukunft" zu unwahrscheinlichen Plotentscheidungen. Das Vehikel, um diese mitreißende Familiengeschichte zu erzählen, lahmt leider zu oft und verkommt zeitweise zum Kitsch.

Insgesamt hat mir also das Konzept des Buches sehr gut gefallen, leider wirkt der Anfang und das Ende aber zu unnatürlich stark konstruiert, um das Buch zu einem sehr gutem zu machen.