Rezension

Spannende und unterhaltsame Geschichtsschreibung

Revolution der Träume -

Revolution der Träume
von Andreas Izquierdo

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION – Im ersten Band „Schatten der Welt“ (2020) der historischen Romanreihe „Wege der Zeit“ des deutschen Schriftstellers und Drehbuch-Autors Andreas Izquierdo (53) lernten wir drei Jugendliche kennen, die sich - in ihren doch so unterschiedlichen Charakteren, Temperamenten und Talenten perfekt ergänzend - im westpreußischen Thorn ab 1910 bis in die Wirren des Ersten Weltkrieges hinein zu einem unzertrennlichen Trio verbunden hatten: Der schüchterne Carl Friedländer, Sohn eines jüdischen Schneiders, die emanzipatorische Isi, Tochter eines bürgerlichen Emporkömmlings und populistischen Reichstagsabgeordneten. Artur Burwitz, geschäftstüchtiger Sohn eines Stellmachers, der notfalls auch illegale Wege geht, um seine Träume zu verwirklichen.
Alle drei treffen sich nun im zweiten Band „Revolution der Träume“, im August beim Dumont Buchverlag veröffentlicht, nach verlorenem Krieg mehr oder minder zufällig in Berlin wieder, wo gerade der Kaiser verjagt wurde, die meisten Menschen in bitterer Armut leben und Sozialisten gegen Monarchisten in blutigen Straßenkämpfen bewaffnet gegen einander losgehen. „Hier hatte Preußens Herz zu schlagen aufgehört.“ Wieder ist Carl der Erzähler der Geschichte und schildert seine Ankunft in der Reichshauptstadt: „Ich kam mir wie der verspätete Gast des größten Feuerwerks aller Zeiten vor, der auf nasses Konfetti, leere Flaschen und zerbrochenes Glas schaute, den alkoholschwangeren, schweißigen Muff der verschwundenen Gäste in der Nase.“
Es ist diese bildhafte Sprache, die auch Izquierdos zweiten Band so leicht lesbar und die deutsche Geschichte jener Zeit trotz ihrer Komplexität auch für Nichthistoriker verständlich und nachvollziehbar erlebbar macht. Er beschreibt die berüchtigten Goldenen Jahre Berlins – geprägt durch Widersprüche, politische Verwerfungen und gesellschaftliche Gegensätze – nicht in oberlehrerhafter Art des nachgeborenen Besserwissers, sondern aus damaliger Sicht der kleinen Leute, zu denen zweifellos auch seine drei jungen Freunde gehören, wenn auch durch Kriegserfahrung reifer geworden. „So lag auch kein Schatten über unserem Wiedersehen, es war, als wären wir wieder die, die wir immer gewesen waren, außer dass ein Weltkrieg uns vor der Zeit gezwungen hatte, endgültig erwachsen zu werden.“
Mit ungebrochenem Ehrgeiz, der alle drei schon als Minderjährige in Thorn zu Unternehmern hatte werden lassen, versuchen sie nun den Wandel der Zeit für sich zu nutzen: Artur ist Clubbesitzer und steigt dank seiner Gewitztheit und Unerschrockenheit zum Paten seines Viertels auf. Isi setzt sich immer noch für Frauen in Not ein, versucht aber durch Heirat gesellschaftlich aufzusteigen. Carl wird Kameramann bei der jungen UFA-Filmgesellschaft, hängt aber den alten Werten an. „Unsere Welt ist nicht mehr Thorn“, mahnt ihn Isi deshalb. „Hier ist alles neu, alles dreht sich rasend schnell! Bleib stehen, und du wirst herausgeschleudert. Du musst nicht alles gut finden, Carl, aber finden musst du dich! Sonst bist du verloren.“
Zwar ist „Revolution der Träume“ die chronologische Fortsetzung der Lebensbeschreibung der drei Freunde. Doch durch verlorenen Krieg und Ortswechsel nach Berlin beginnt für alle drei ohnehin ein neues Leben, so dass sich dieser zweite Band gefahrlos ohne Kenntnis des ersten lesen lässt und unbedingt zu lesen lohnt. Denn wieder ist es Izquierdos sanfte, empathische, seine Leser ansprechende Erzählweise, die uns mit seinen Protagonisten mitleiden, mitfühlen, aber auch mitfeiern lässt und uns mittels humorvoller Einschübe zu verstehen gibt, dass das Leben auch in schwierigster Situation immer lebenswert ist.