Rezension

Tolle Ideen und Ansätze, aber Schwächen im Schreibhandwerk

Der mexikanische Fluch -

Der mexikanische Fluch
von Silvia Moreno-Garcia

Bewertet mit 3.5 Sternen

Mexican Gothic (wenn ihr mich fragt, der treffendere Titel) hat mich schon neugierig gemacht, als es 2020 im Original erschien und ich hatte mir sehnlichst gewünscht, dass es übersetzt werden würde. Als dann die Ankündigung von Limes kam, war ich Feuer und Flamme und hatte dementsprechend hohe Erwartungen, als ich das Buch endlich in den Händen hielt. Vielleicht zu hohe Erwartungen?

Viktorianische Gothic Vibes in den Bergen Mexikos
Das Buch startet vielversprechend. Protagonistin Noemi, eine junge Frau aus der Oberschicht von Mexiko-City, die Partys liebt und ihre Unabhängigkeit mit einem Studium sichern will, wird von ihrem Vater im Austausch für die Erlaubnis studieren zu dürfen zu ihrer Cousine Catalina geschickt. Diese hat den Erben einer Familie von ehemaligen britischen Kolonisten geheiratet und lebt nun in deren Landhaus irgendwo in den Bergen Mexikos. Noemi soll untersuchen, was es mit dem seltsamen und beunruhigenden Brief auf sich hat, den Catalina ihnen schickte und in dem sie von Vergiftungen und einer bösen Präsens im Haus berichtet.

Wir haben hier also ein klassisches Setting der Gothic Literatur: Ein altehrwürdiges Herrenhaus, das schon bessere Jahre gesehen hat, in dem etwas Unheilvolles vor sich geht und eine junge Frau, die diesem Spuk auf den Grund geht. Besonders wird diese auf den ersten Blick klassische Schauergeschichte durch zwei Aspekte.
Zum einen das Setting. Wir befinden uns in Mexiko der 50er Jahre. Die blutigen Kämpfe der Revolution sind erst seit ca. 20 Jahre vorbei und die Folgen der Revolution noch deutlich spürbar. Diese werden auch in diesem Buch thematisiert, wenn auch nicht mit Fokus darauf, denn dadurch, dass das Herrenhaus und seine Bewohner, von der eingeheirateten Catalina abgesehen) britisch sind, hat das Buch doch sehr viele viktorianische Vibes, trotzdem ist Mexiko in vielen Details und in der Denk- und Lebeweise der Protagonistin präsent und ist Teil des Konflikts auf den das Buch hinausläuft.

Neuinterpretation der Schauerliteratur-Heldin
Der zweite Unterschied zur klassischen Gothic Literatur ist Protagonistin Noemi selbst. Waren Heldinnen früherer Schauerromane, der Zeit bedingt, in denen sie entstanden sind, Frauen, die dem Gesellschaftsbild des 19. Jahrhundert entsprachen und zumeist einen Mann an ihrer Seite benötigten um das Rätsel des Spukhauses zu lüften, kommt Noemi sehr gut alleine zurecht. Zwar bekommt auch sie Hilfe von einem männlichen Charakter, trotzdem ist das Machtverhältnis in dieser Freundschaft ganz anders, als in den großen Gothicromanen. Das ist insoweit wichtig, da Emanzipation ein zentrales Thema des Buches ist und dem/der Leser/in immer wieder in verschiedenen Formen begegnet. Sei es durch Noemi, die statt zu heiraten lieber studieren möchte, oder dem Kampf gegen die Doyles, die frauenunterdrückenden Zustände des 19. Jahrhundert und zuvor am liebsten in Stein gemeißelt auf ewig sähen. Dieser Aspekt des Romans hat mir sehr gut gefallen, auch weil Silvia Moreno-Garcia ein gutes Gespür dafür hat, dieses leider weiterhin hochaktuelle Theme so mit ihrer Geschichte zu verknüpfen, dass es allzeit präsent ist, aber trotzdem nicht im historischen Setting irritierend wirkt. Man kann nämlich zu jeder historischen Epoche feministische Romane schreiben, ohne dass es weit hergeholt oder unrealistisch wirkt, man muss es nur, wie hier, geschickt anstellen.

Es wirkt, wie ein Debütwerk
Während Setting und Themen des Romans mich also überzeugen konnten, muss ich leider auch anmerken, dass der Plot und manche Figuren schwächeln. So bekommen wir zwar ein gutes Bild von den Antagonisten, dem gegenüber bleiben aber Noemi selbst, Catalina, Francis und auch andere Nebenfiguren etwas blass. Ein Umstand, der besonders aufgrund der Tatsache, dass wir ohnehin nur eine überschaubare Anzahl an Figuren haben, schade ist. Wenn ich schon meinen Roman, einem Kammerspiel ähnlich, auf wenige Orte und Figuren begrenze, müssen letztere einfach besser ausgearbeitet sein.
Auch dramaturgisch ist noch Luft nach oben. So dauert es zum Beispiel ziemlich lange, bevor die ersten unheimlichen Ereignisse im Haus beginnen und auch Noemis “Ermittlungen” drehen sich ein Großteil des Buches im Kreis. Im letzten Drittel hingegen wird dann so viel an Informationen und Ereignisse gestopft, dass man kaum hinterherkommt. Der Spannungsbogen und das Erzähltempo sind hier also nicht ausgeglichen. Dies mag auch mit ein Grund sein, warum die Auflösung in meinen Augen etwas wirr war. Ich mochte die kreative Idee, doch sie wirkte nicht in allen Punkten ausgereift und lässt am Ende Fragen offen, die ich als eher unbefriedigend, denn als “Offenes Ende” empfand.
Insgesamt wirkte das ganze Buch mehr wie ein Debütwerk, als wie der sechste Roman der Autorin auf mich. Das Schreibtalent und die kreativen Ideen sind da, keine Frage. Im Schreibhandwerk ist aber noch Raum für Verbesserungen.

Fazit:
Der mexikanische Fluch bietet eine interessante Mischung aus viktorianischen Gothic-Vibes und mexikanischer Geschichte. Silvia Moreno-Garcia gelingt es geschickt, Themen wie Emanzipation in die Schauerromantik einzubinden und präsent zu halten. Das Buch punktet mit einem atmosphärischen Setting und einer interessanten Neuinterpretation der Schauerliteratur-Heldin. Allerdings offenbart es auch Schwächen in Bezug auf den Plot und die Ausarbeitung einiger Figuren, was das Gesamtwerk mehr wie ein vielversprechendes Debüt denn wie das Werk einer erfahrenen Autorin wirken lässt. Trotzdem bleibt “Der mexikanische Fluch” ein lesenswertes Buch und ich werde bestimmt auch noch weitere Bücher der Autorin lesen.