Rezension

Wienroman

Das Café ohne Namen
von Robert Seethaler

Gibt es die Kategorie Wienroman? Ich kenne bisher nur den Begriff Berlinroman, aber bin auf jeden Fall eine Verfechterin der Ansicht, dass Wien ikonisch genug ist, um ihn zu verdienen. 
Robert Seethalers neues Buch "Das Café ohne Namen" ist so ein Wienroman. Das Café das im Mittelpunkt steht ist eigentlich gar kein klassisches Café, zumindest wird hier eher Bier und Schmalzbrot als Kaffee und Kuchen bestellt. Der Wirt Robert Simon eröffnet es in einer Stadt, die sich nach dem Krieg im Wiederaufbau befindet und macht es in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu einer zentralen Anlaufstelle. Das Café ohne Namen wird vor allem von einfachen Leuten aufgesucht. Von Näherinnen und Arbeiterinnen, von Markthändlern und Männern, die ihr Geld mit Boxkämpfen verdienen. Sie alle führen ein arbeitsreiches Leben, das rund um Simons kleines Café eine Wendung nimmt. 
Ich lese die Bücher von Robert Seethaler sehr gern. Ich mag den klaren, präzisen Schreibstil, der auch "Das Café ohne Namen" prägt, und diese leise, unaufgeregte Art kleine, aber ehrliche Geschichten zu erzählen. Es kommt mir vor als könnte das alles wirklich genau so stattgefunden haben, weil das, was passiert, jedem hätte passieren können, und gerade das Außergewöhnliche, das manchmal Tragische in dieser Alltäglichkeit macht die Texte so lesenswert. 
Rund um das Café ohne Namen lernt man als Leser*in einige liebenswerte Charaktere kennen, die alle auf ihre Weise versuchen zurechtzukommen. Das gelingt ihnen mal mehr und mal weniger gut. In kurzen Kapiteln wechseln, die Menschen, die im Fokus der Geschichte stehen. Auf manche kommt der Text regelmäßig zurück. So zum Beispiel der Wirt Robert Simon oder seine Kellnerin Mila. Andere bleiben eher am Rand. Von einigen Geschichten hätte ich gerne noch etwas mehr erfahren. Immer dann wenn den Protagonist*innen signifikante und einschneidende Dinge widerfahren sind, die in den folgenden Kapiteln dann kaum bis gar nicht mehr zum Thema geworden sind. 
Besonders gefallen hat mir die Atmosphäre der Geschichte. Das Wien im Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts aus Sicht der einheimischen Arbeiterschaft ist für mich sehr greifbar geworden. Dieses realistische Szenenbild kombiniert mit einer kleinen Brise Zauber und Schicksalhaftigkeit liest sich sehr warm. 

Fazit: 
"Das Café ohne Namen" ist stilistisch und inhaltlich ein waschechter Seethaler. Emotional hatte die Geschichte keine ganz so eindringliche Wirkung auf mich wie "Ein ganzes Leben" (An dieser Stelle auch dafür eine große Empfehlung. Wer es noch nicht gelesen hat, sollte das so schnell wie möglich nachholen. Wirklich!), nichtsdestotrotz ist "Das Café ohne Namen" ein überaus lesenswerter Roman für alle Wienliebhaber*innen und solche, die es noch werden wollen.