Rezension

Interessante Milieustudie

Das Café ohne Namen
von Robert Seethaler

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Café ohne Namen in Wien und die Besucher sind in dieser Geschichte Dreh- und Angelpunkt. Was zunächst vielleicht ein bisschen fad wirken könnte, entpuppt sich aber als interessante Milieustudie, zumal die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs in der Zeit noch deutlich zu spüren sind, die Aufbruchstimmung aber schon mitschwingt.

Ich habe schon so viel über den Autor gehört, hatte bis dato allerdings noch nichts von ihm gelesen. Da mich hier der Klappentext direkt angesprochen hatte, habe ich zugeschlagen und es auch nicht bereut.

Wie der Titel schon vermuten lässt, ist das Café in Wien der zentrale Ausgangspunkt. Hier treffen sich die unterschiedlichsten Leute des „gemeinen Volks“ und verbringen ihre Zeit, entspannen, treffen sich zum Karten oder einfach so. Der Leser wird mitgenommen in die Welt der Besucher und des Betreibers Robert Simon, der als Hauptfigur des Buches eine gute Figur abgibt, wenngleich er vielleicht nicht sehr schön, intelligent oder sonst wie toll dargestellt ist. Dadurch wirkt er aber auch ziemlich authentisch und vor allem hat der das Herz am rechten Fleck. Der Leser erlebt mit, wie er sich für das Café auftreibt, seine letzten Kraftreserven und noch mehr gibt, wie er sich um seine Mitmenschen sorgt und wie er Chancen gibt, wo sie andere vielleicht nicht gäben.

Das Gros der Geschichten ist unaufgeregt – sieht man von einer Explosion, einem Feuer, einem Brückeneinsturz ab (okay, das klingt nach deutlich mehr Action, als ich es beim gemütlichen Lesen empfunden habe) und doch sind in den leisen Tönen ganz schön heftige Geschichten verpackt. Von Menschen, die aufgeben, von solchen, die es schwer haben und dennoch immer weitermachen. Es ist eine Art Milieustudie, die das harte Leben der Menschen samt aller möglichen Sorgen und Nöte beleuchtet, den Zeitgeist einfängt und die Geschichte eines Cafés vom Anfang bis zum bitteren Ende erzählt.

Ein wenig blieb mir der Autor aber zu sehr an der Oberfläche, manchmal hätte ich mir gewünscht, dass er noch tiefer gräbt, den Finger noch mehr in die Wunde legt. Vielleicht wäre es besser gewesen auf ein paar Figuren zu verzichten und deren Geschichte mehr auszuarbeiten, aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Unter dem Strich empfehle ich das Buch gerne weiter.