Rezension

Zwischen Geschick und ungewollter Krimi-Parodie

Cold Case - Das verschwundene Mädchen - Tina Frennstedt

Cold Case - Das verschwundene Mädchen
von Tina Frennstedt

Bewertet mit 3 Sternen

Uns begegnen immer mal wieder Rückblenden aus der Sicht des Opfers Annika vor ihrem Tod. Die Ich-Perspektive ist in Krimis bei Todesopfern höchst ungewöhnlich. Ich finde diese Art der Erzähltechnik genial, da sie durch die Emotionen und Erinnerungen des Opfers nochmal eine ganz eigene Dramatik entwickelt und den Lesern bruchstückhaft Hinweise zum Mitraten liefert, die den Ermittlern noch nicht vorliegen. Annikas Perspektive, also die des Opfers aus dem eigentlichen Cold Case-Fall, ist die einzige aus Ich-Perspektive. Alle anderen Szenen sind mittels interner Fokalisierung auf verschiedene Personen beschrieben, die zwar zur selben Geschichte gehören, aber nicht oder kaum aufeinandertreffen – zumindest lebendig. Protagonisten, auf die intern fokalisiert wird, sind alle auf irgendeine Weise Opfer. Hier im Fokus sind also nicht nur die Ermittlerin und Cold Case-Aufklärerin Tess, sondern beinahe gleichwertig auch die Opfer der beschriebenen Fälle, Annika mit einer Sonderstellung. Die Sonderstellung Annikas erkläre ich mir damit, dass es sich bei ihr um den Cold Case – also den Titelgeber des Buches – handelt. So ist sie, obwohl es auch viel um aktuelle, andere Opfer geht, dennoch etwas mehr im Fokus. Das ist eine intelligente, spannende Verknüpfung aus Cold Case- und „Hot-Case“-Krimi, sehr geschickt!

Es fällt mir schwer, dieses Buch zu bewerten, da es stellenweise sehr gut, einfühlsam und spannend geschrieben ist, andererseits aber auch mit übertriebenen Charakteren aufwartet, Zusammenhänge unnatürlich konstruiert wirken und es zu einem großen Teil nur um Beziehungsprobleme geht.

Die Geschichte dreht sich darum, dass ein aktueller Fall Parallelen zu Cold Cases in Dänemark aufweist, weshalb Ermittlerin Tess, die das Cold Case-Team leitet, hinzugezogen wird. Dem Leser wird vermittelt, dass ein anderer alter Fall, an dem Tests gerade arbeitet, eine Verbindung zu dem nun brandaktuellen Fall aufweist. Tess muss nun herausfinden, ob diese Verbindung wirklich besteht oder nicht, und sie muss ihren Cold Case lösen. Wer hat die junge Annika umgebracht und warum? Wo ist die Leiche? Wie es bei Colt Cases so üblich ist, ist es schwer, nach so vielen Jahren noch brauchbare Hinweise zu finden. Aber für Tess ist es eine Herzensangelegenheit, denn sie möchte den Angehörigen der Opfer zeigen, dass es jemanden gibt, der sich um sie kümmert bzw. sich für ihr Leid interessiert, sie möchte ihnen ein Ort zum Trauern geben und die Gewissheit, was damals passiert ist. Einige Zeugen, so wird erklärt, erinnern sich später sogar besser, da sie nicht mehr so unter Druck stehen und eventuell jahrelang über das nachgedacht haben, was sie damals erlebt haben. Dieses tugendhafte Ziel von Tess wird in der Umsetzung von der Autorin sehr einfühlsam beschrieben. Man kann sich z.B. sehr gut in die Mutter des Opfers Annika hineinversetzen und ihre Trauer mit ihr teilen.

Ich habe dieses Buch in einer Leserunde gelesen und dort gab es Personen, die dem Täter des Cold Case ziemlich bald auf die Spur gekommen waren, ich gehörte allerdings nicht dazu. Für mich gab es einen anderen stark Verdächtigen und dieser Verdächtige konnte sich im Laufe der Geschichte nicht komplett von Verdächtigungen freimachen. Meiner Meinung nach hat er trotzdem gewaltig Dreck am Stecken, auch wenn er letztendlich nicht der Mörder war. Der Verdacht wurde wohl bewusst stark auf ein bzw. zwei Personen gelenkt, um die Identität des wahren Täters am Ende eine Überraschung sein zu lassen. Aufgrund der Verbandelungen und den absichtlich rar gestreuten Infos war die Überraschung allerdings auch für mich nicht allzu überraschend.

Leider ist es nun so, dass das Buch zwar höchst spannend und dramatisch startet, dadurch, dass man gleich miterlebt, wie eine Frau dem Mörder zum Opfer fällt, doch leider wird diese Art von Spannung nicht dauerhaft gehalten, da sich die Autorin immer wieder in Beziehungskriseleien verliert, deplatzierter Humor oder überzeichnete Charaktere/ überzogene Handlungen auf den Plan treten. Als Tess‘ Beziehungsdrama seinen Höhepunkt erreicht, wirkt es so, als sei dieser dramatische Moment nur deshalb konstruiert worden, um die stecken gebliebene Geschichte voranzubringen. Es wirkt an dieser Stelle plump, unauthentisch und übertrieben. Genauso wirken einige Charaktere für circa zwei Drittel des Buches. Dies bessert sich allerdings im letzten Drittel des Buches, dort handeln die Charaktere dann natürlicher, mit mehr Tiefgang und sind auf einmal sogar teilweise sympathisch.

Handlungen, die ebenfalls übertrieben wirken, sind zum Beispiel die Art, wie der vormals Hauptverdächtige im Annika-Fall agiert, der alleine durch seinen Alkoholmissbrauch um der Realität zu entfliehen, dermaßen in Halluzinationen versinkt und sich alles Mögliche einbildet, dass es nicht mehr realistisch wirkt.

Interessant dagegen ist die Form, in der erzählt wird. Uns begegnen immer mal wieder Rückblenden aus der Sicht des Opfers Annika vor ihrem Tod. Die Ich-Perspektive ist in Krimis bei Todesopfern höchst ungewöhnlich. Ich finde diese Art der Erzähltechnik genial, da sie durch die Emotionen und Erinnerungen des Opfers nochmal eine ganz eigene Dramatik entwickelt und den Lesern bruchstückhaft Hinweise zum Mitraten liefert, die den Ermittlern noch nicht vorliegen. Annikas Perspektive, also die des Opfers aus dem eigentlichen Cold Case-Fall, ist die einzige aus Ich-Perspektive. Alle anderen Szenen sind mittels interner Fokalisierung auf verschiedene Personen beschrieben, die zwar zur selben Geschichte gehören, aber nicht oder kaum aufeinandertreffen – zumindest lebendig.
Protagonisten, auf die intern fokalisiert wird, sind alle auf irgendeine Weise Opfer. Hier im Fokus sind also nicht nur die Ermittlerin und Cold Case-Aufklärerin Tess, sondern beinahe gleichwertig auch die Opfer der beschriebenen Fälle, Annika mit einer Sonderstellung. Die Sonderstellung Annikas erkläre ich mir damit, dass es sich bei ihr um den Cold Case – also den Titelgeber des Buches – handelt. So ist sie, obwohl es auch viel um aktuelle, andere Opfer geht, dennoch etwas mehr im Fokus. Das ist eine intelligente, spannende Verknüpfung aus Cold Case- und „Hot-Case“-Krimi, sehr geschickt!

Die Übersetzung dieses Buches hat mir ziemlich gut gefallen, der Schreibstil ist flüssig und die Wortwahl so, dass man keine Probleme hat, es zu verstehen oder irgendwo hängen zu bleiben. Leider gibt es drei Frauennamen, die mit A beginnen und enden und da diese zeitweise sehr häufig vorkommen, muss man aufpassen, dass man sie nicht verwechselt.

Es war interessant, auch in diesem Schweden-Krimi herauszulesen, dass die Schweden mit den Dänen Probleme haben, aber immerhin nicht so sehr wie mit den Norwegern. Diese Konflikte finden sich ja auch in anderen Skandinavien-Krimis. Apropos Krimi: Dieses Buch hier liest sich deutlich mehr wie ein Krimi als wie ein Thriller. Gerade weil es hier um Ermittlungen geht und die Spannung hauptsächlich am Anfang des Buches vertreten ist, wird es einen Thriller weniger gerecht als einem Krimi. Erwähnenswert vor dem journalistischen Hintergrund der Autorin ist außerdem, dass auch der Konflikt zwischen Polizei und Journalisten hier ein wenig Raum findet.

Die Art, wie der Valby-Mann in dem aktuellen Fall seinen Opfern nachstellt, ist nicht ganz plausibel. Dies ist meiner Ansicht nach aber zu vernachlässigen, was ich deutlich problematischer finde, ist, dass der Profiler mit dem Täter telefonischen Kontakt hatte und auch aufgrund seiner Expertise Details über ihn und seine Kindheit herausgefunden haben will, die erst so in den Mittelpunkt gestellt werden und dann nicht nur keine Rolle mehr spielen, sondern überhaupt nicht geklärt wird, was an den Spekulationen des Profilers nun dran war. Seltsam ist auch, dass der Valby-Mann sehr auffällig auszusehen scheint, ganz abgesehen davon, dass er einen ausländischen Akzent hat, und dass sich später niemand mehr an ihn erinnern konnte.
Es bleiben also einige Fragen ungeklärt und einige Zusammenhänge unplausibel.

Was mir allerdings gut gefallen hat, ist, dass die homosexuelle Beziehung der Hauptheldin Tess so normal wie eine heterosexuelle Beziehung (mit denselben Problemen) beschrieben wurde und dass Frauen in diesem Band eine starke Rolle spielen.

Das Cover gefällt mir durch das Farbspiel mit den satten Farben sehr gut. Auf dem Ebook-Reader (also in schwarz-weiß) wirkt das Cover leider noch lange nicht so gut wie in Farbe. Die Schriftgröße beim Reihennamen "Cold Case") finde ich etwas zu groß. Große Schrift verbinde ich mit Reißerischem, mit wenig Qualität (kommt vermutlich von Blättern wie der Bildzeitung ...). Abgesehen von dem tollen Farbspiel hat mich am Cover nichts gereizt. Um ehrlich zu sein, dachte ich erst, dass es sich hierbei um ein Buch handelt, das mit einer übertrieben spektakulären, unauthentischen Geschichte aufwartet, erzählt in einer wenig künstlerischen Sprache, die große Worte gebraucht, aber irgendwie seelenlos. Aus der Leseprobelässt sich das nicht ersehen, aber wie hier in meiner Rezension beschrieben, hat sich dieser Eindruck in den Abschnitten nach der Leseprobe leider teilweise bewahrheitet.

Ungewohnt und ein wenig unpraktisch ist, dass die einzelnen Kapitel weder Überschriften haben noch nummeriert sind, sodass man einfach in ein neues Kapitel stolpert ohne zu wissen, wo man jetzt genau ist. Die Seitenzahl des Buches ist angenehm. Dadurch, dass ich es nur als eBook gelesen habe, kann ich leider die Haptik des Buches nicht bewerten. In der Taschenbuchausgabe gibt es wohl am Ende des Buches ein Personenverzeichnis, das leider nicht in das eBook integriert worden ist. 

Es ist schade, dass dieses Buch stellenweise so überzogen und konstruiert wirkt, denn andernfalls wäre es eine sehr spannende und einfühlsame Lektüre gewesen, die als Buchreihe eine abwechslungsreiche Unterhaltung bietet. Nach der Lektüre dieses Debüt-Bandes jedoch bin ich nun nicht sicher, ob ich diese Reihe weiterverfolgen werde. Ich denke aber, dadurch, dass mir die guten Stellen so sehr gefallen haben und die Autorin als Krimi-Journalistin einen tiefen Einblick in die Art und Weise hat, wie mit Kriminalfällen umgegangen wird, werde ich der Reihe mit Band 2 noch eine Chance geben. Diese guten Stellen des vorliegenden Buches verdienen meiner Ansicht nach gute 4,5 Sterne, die weniger guten leider nur ein bis zwei Sterne. Ich bin mir daher nicht sicher, ob eine Gesamtwertung von 3 Sternen wirklich aussagekräftig ist.