Rezension

eindrücklicher Schreibstil

Ich fürchte mich nicht
von Tahereh Mafi

Bewertet mit 5 Sternen

"Ich fürchte mich nicht" spaltet zur Zeit die Gemüter. Die einen lieben es, die andern können nichts damit anfangen. Und ich muss sagen, ich bin wirklich froh, dass ich zur ersten Gruppe gehöre.
Das Auffälligste an Tahere Mafis Erstlingswerk ist ganz sicher ihr Schreibstil. Noch nie hatte ich ein Buch in der Hand, in dem Worte, Sätze, sogar ganze Abschnitte durchgestrichen sind. Noch nie las ich ein Buch mit mehr Wiederholungen. Kaum ein Buch hat mit mehr Metapher gearbeitet wie dieses. Ich habe noch kaum ein poetischeres Jugendbuch, das so anders ist, erlebt.
Dieser spezielle Schreibstil erinnert mich stark an die inneren Monologe, die ich während meiner Studienzeit schreiben musste. Und so hatte ich das Gefühl, Tahereh Mafi schreibt genau so, wie ich denke. Am liebsten hätte ich mir das Buch laut vorgelesen, um die Worte, Sätze zu hören.

Die Geschichte wird aus der Sicht von Juliette erzählt. Schon am Anfang wird einem klar, dass sie das Leben als Ausgestossene, viel Mobbing und der totale Liebesentzug ihrer Familie schwer gezeichnet hat. Dazu kommt die Haft in einer Einzelzelle und vor allem ihre Zweifel sich selbst gegenüber, denn sie sieht sich als Monster, das Menschen tötet, wenn sie sie berührt. So ist sie den Umgang mit Menschen nicht sonderlich gewöhnt und als Adam zu ihr in die Zelle kommt, weiss sie erst nicht recht, wie sie mit ihm umgehen soll. Trotz ihrer Vorgeschichte ist Juliette ein starker Charakter, der auf einem Grat zwischen Resignation und Hoffnung wandert und ab und zu war ich erstaunt, wie positiv sie den Menschen gegenübertritt, wie selbstaufopfernd sie ist und das, obwohl sie eigentlich nur negative Begegnungen mit den Mitmenschen erlebt hatte.

Adam ist der tolle männliche Part, doch mir war er ein bisschen zu glatt und gutaussehend. Da fehlten mir doch ein bisschen die Ecken und Kanten. Schön fand ich es, dass es doch die eine oder andere Überraschung gab.
Vor dem Lesen ist es bestimmt gut zu wissen, dass in diesem Buch die Liebesgeschichte einen grossen Anteil inne hat. Mir hat diese gut gefallen, doch sie ist schon sehr vorhersehbar und etwas schnulzig.

Dann gibt es natürlich auch noch den bösen Gegenspieler. Mit Warner ist Tahereh Mafi wirklich ein facettenreicher und spannender Charakter gelungen. Warner befehligt eine ganze Armee und schreckt nicht davor zurück, seine Feinde zu foltern oder seine eigenen Soldaten öffentlich hinzurichten. Bei so viel Kaltblütigkeit war ich über sein junges Alter ehrlich überrascht. Juliette weckt irgend etwas in ihm und er möchte sie um alles in der Welt "besitzen". Er ist so von ihr besessen, dass er sogar beginnt, sich ihr zu öffnen und man so seine menschliche Seite erahnen kann. Ich bin jetzt schon gespannt, was für eine Rolle er im zweiten Band bekommt und wie die nächste Begegnung zwischen ihm und Juliette aussehen wird.

Das Ende geht dann recht schnell und erinnert mich stark an X-Men, gestört hat mich das jedoch nicht gross, denn das wusste ich ja schon im Voraus. Das Ende enthält für einmal keinen fiesen Cliffhänger. Trotzdem schweben noch genügend unbeantwortete Fragen im Raum, dass ich gespannt auf Band zwei warte.

Fazit:
Die Mischung aus einem sehr kreativen, bildhaften Schreibstil, zwei sehr facettenreichen, spannenden Gegenspielern und einer schönen Liebesgeschichte entwickeln einen so grossen Sog, dass es mich mit Haut und Haar ins Buch genommen hat. "Ich fürchte mich nicht" ist der grandiose Auftakt zu einer dystopischen Trilogie.