Rezension

Das Leben – ein Wunder, die Liebe – der Sinn

Eins - Sarah Crossan

Eins
von Sarah Crossan

Bewertet mit 5 Sternen

Tippi und Grace sind siamesische Zwillinge und sie sind ein kleines Wunder, denn sie haben Überlebt. Doch was nun folgt ist das Leben an sich – ihr Leben. Begebenheiten, Begegnungen, Gedanken, Empfindungen. Leben, Erleben, Durchsetzen, Genießen, Lieben, Leiden. Chancen und Grenzen. Alles baut aufeinander auf und hängt voneinander ab. Sie wirken so anders und sind in Wahrheit doch genauso wie wir; wir, die „gesunden“ und „normalen“ Menschen. Doch im Laufe der Handlung wandelt sich diese Einstellung. Wie gehen wir um mit Menschen, die nur augenscheinlich „anders“ sind? Wir sind es, die sie am eigentlichen Leben hindern oder beeinträchtigen. Was ist normal, worauf kommt es dabei an? Für die beiden Mädchen bedeutet daher Leben auch immer Kampf. Das beschämt und macht sehr nachdenklich. Andererseits sind beim Lesen ihrer bewegenden Geschichte Gefühlsduselei und Mitleid fehl am Platz, denn das ist genau das, was sie am wenigsten brauchen. Sie sind stark und sie haben einander. Sie sind Seelenverwandte. Wer von uns kann schon behaupten einen solchen Menschen stets neben sich zu wissen? Offen und unbedarft, genau wie unsere Protagonisten – beneidenswert. Man fragt sich oft „wie machen das die beiden bloß? Wo nehmen sie diese Energie her, diese innere Stabilität? Es sind ja bei Weitem nicht nur die ständigen Blicke, denen sie ausgesetzt sind. Das Schicksal hat voll zugeschlagen. Doch sie nehmen es an, alles, was dazu gehört. Sie machen sich dabei keine Illusionen. Duldsam und zuversichtlich zugleich. Das Hadern gewinnt nie die Oberhand. Mir zumindest haben sie damit viel voraus. Besondere Menschen erkennen sich und finden zueinander. Die Spreu trennt sich ganz von selbst vom Weizen. Das macht manches leichter. Es ist ja so schon schwer genug.

Der aufgebrochene Schreibstil und das besondere Layout mögen für einige Leser irritierend und gewöhnungsbedürftig sein. Für mich hingegen wird so der Roman erst „rund“. Ähnlich dem Aufbau einer Ballade oder eines Gedichtes kommen so die einzelnen Beschreibungen noch mehr zur Geltung. Barrieren und Lücken entstehen, die im wahrsten Sinne des Wortes das geradlinige Lesen behindern. Und genau das ist wohl auch gewollt. Schnappschüsse, Momentaufnahmen. Man kann nichts überlesen. Alles scheint wichtig zu sein, eben auch die kleinen Dinge. Dieses Buch ist eben anders. Es bietet so auch sehr gut die Möglichkeit zu Innehalten. Ein bloßes Durch- oder Hintereinanderweg-Lesen ist nicht so leicht möglich. Es wäre auch der Handlung nicht gerade angemessen. Und das macht es auch besonders; besonders lesenswert. Grace erzählt, spricht zu uns wie in einem Tagebuch. Sie hat uns so viel zu sagen, nicht nur über ihre Schwester. Da ist auch ihre Familie, in der jedes Mitglied mit seinen eigenen Sorgen, Ängsten, Nöten aber auch Träumen zu kämpfen hat. Doch sie sind eine Familie und halten zusammen; mit sehr viel Verständnis und Liebe füreinander. Jeder trägt so mehr oder weniger seinen Teil zum Zusammenhalt dazu bei. Leben und leben lassen. Sie machen es uns vor.