Rezension

Eins oder Zwei oder beides?

Eins - Sarah Crossan

Eins
von Sarah Crossan

Bewertet mit 5 Sternen

Neugierig von der Leseprobe habe ich dieses Buch sofort nach Eintreffen gelesen. Die Lektüre war schnell erledigt, denn das Layout des Buches ist neben dem Cover/ Umschlag recht ungewöhnlich. Die einzelnen Seiten muten eher wie ein Lyrikband an, die Seiten sind oft nur mäßig mit Text gefüllt, manchmal sogar nur mit wenigen Worten.

Insofern passt beides recht gut zum erzählten Inhalt, denn auch die Geschichte der Zwillinge Grace und Tippi ist eine sehr ungewöhnliche. Grace und Tippi sind zwei einzelne Individuen, mit eigenen Wünschen und Vorstellungen vom Leben, mit dem Wunsch sich zu verlieben und allem, was diesem Verlieben vielleicht folgen kann. Und doch sind die Schwestern auch EINS, denn sie müssen sich einen Teil ihrer/ ihres Körpers teilen. Sie sind siamesische Zwillinge, ab der Hüfte miteinander verbunden. Platt gesagt: oben zwei, unten aber nur ein Mensch.
Wir lernen Grace und Tippi kennen, als sie 16 Jahre alt sind. Bislang behütet in der Familie und mit einem Hauslehrer aufgewachsen müssen sie nun eine öffentliche Schule besuchen. Das Geld reicht einfach nicht mehr, die bisherigen Lebensgewohnheiten beizubehalten. Zwar finden die Schwestern recht schnell zwei Freunde in der neuen Schule, ein Mädchen und einen Jungen, mit denen sie weite Teile auch ihrer Freizeit verbringen. Aber sie erfahren bzw. erleben auch eigentlich zum ersten Mal in ihrem Leben Ausgrenzung und Mobbing. Sie müssen sich durch ihre neuen Erfahrungen aber auch mit Alkoholismus, mit Essstörungen und ganz viel mit der Frage des Verliebtseins auseinandersetzen. Sie probieren aus, was auch die Freunde tun und sind da nicht immer einer Meinung. Immer wieder beschäftigen  sie sich mit Fragen ihrer Individualität und dem Wunsch nach „normal sein“ , denn sie empfinden sich keineswegs als unnormal. Sie möchten auch keine öffentliche Zurschaustellung und machen sich die Entscheidung, sich einige Zeit Fernsehkameras im Alltag begleiten zu lassen, nicht leicht. Irgendwann siegt die Einsicht, dass sie das dafür gebotene Geld einfach brauchen, für sich selbst und die weitere medizinische Betreuung und Behandlung, aber auch um die Familie zu unterstützen. Denn als nach dem Vater auch noch die Mutter ihren Job verliert wird es wirtschaftlich eng.
Und obwohl beide überhaupt nicht den Wunsch hegen, eine operative Trennung anzustreben, müssen sie sich auch damit auseinandersetzen. Das Herz von Grace wird schwächer, arbeitet nicht mehr optimal und Tippis Herz, das zum Teil für beide Körper arbeitet, wird dies nicht auf Dauer verkraften können. Die Trennung scheint unausweichlich und Grace und Tippi sind die möglichen Ausgänge dieser notwendigen Operation sehr bewusst. Im glücklichsten Fall überleben beide, mit schlechtesten keine von ihnen. Aber – auch die Möglichkeit, dass nur Grace oder nur Tippi überlebt, ist gegeben und dieser Gedanke macht den Mädchen am meisten zu schaffen. Ein Leben ohne die andere scheint nicht vorstellbar und aus ihrer Sicht auch nicht erstrebenswert.
Diese Gedanken sind sehr berührend zu lesen und ich war erstaunt über den Tiefgang, den die Autorin diesen beiden Menschen gerade in so existenziellen Fragen gegeben hat. Ein leises, aber doch sehr wichtiges Buch und zum Lesen unbedingt empfohlen.