Rezension

Dynamit und Seifenblasen - anspruchsvoll und überraschend

Montecristo - Martin Suter

Montecristo
von Martin Suter

Bewertet mit 4.5 Sternen

Wer darf - unter Einsatz aller Mittel - über Wohl und Weh einer ganzen Nation entscheiden?

Der Schweizer Videojournalist Jonas Brand nutzt während der Unterbrechung einer Zugfahrt durch Personenschaden die Gelegenheit, die Stimmung im Zug einzufangen und Mitreisende zu interviewen. Er möchte das Material nutzen, um vom seichten Boulevardfach in den ernsthaften Journalismus zu wechseln. Außerdem arbeitet er an einem Drehbuch, einer modernen Version der Geschichte des Grafen von Monte Christo, die er auf die Leinwand bringen will. Doch zunächst legt Jonas seine Mitschnitte des Zugunglücks zur Seite, denn er entdeckt durch Zufall, dass er zwei Banknoten mit gleicher Seriennummer besitzt. Beide lässt er bei seiner Hausbank prüfen, beide werden als echt erkannt. Interessiert forscht Jonas journalistisch bei dem Unternehmen nach, dass Geldscheine für die Schweiz druckt. Als bei ihm eingebrochen wird und er auf der Straße überfallen wird, legt Jonas die Geldscheine in ein Schließfach bei seiner Hausbank. Nun sucht er seinen Freund und Mentor, den ehemals erfolgreichen aber durch ein privates Unglück aus dem Wirtschaftsjournalismus verschwundenen Max Gantmann auf, der ihm einen Numismatiker empfiehlt und bereits jetzt eine große Story wittert. Doch Jonas‘ nächstes Interview mit dem empfohlenen Experten wird zur Katastrophe: Einer der Geldscheine ist gefälscht. Jonas gilt fortan überall wo er Nachforschungen anstellt als unglaubwürdig; sowohl bei Banken als auch bei der Polizei wird er erfolgreich abgewimmelt. So widmet er sich wieder seinem Beitrag zum Zugunglück, das ihn jedoch plötzlich ebenfalls in den Finanzsektor führt. Pablo Contini, der Personenschaden, war Broker. Als Jonas mit Max‘ Hilfe den Zusammenhang zwischen beiden Fällen herstellt erfährt man, dass gleichzeitig im Hintergrund von einflussreichen Stellen eifrig Fäden gezogen werden. Weitere Morde, geschickt getarnt als Unfälle, geschehen. Jonas muss auf der Hut sein. Auch seine neue Freundin Marina Ruiz, ebenfalls in der Eventbranche tätig, erscheint suspekt. Da er nicht weiterkommt mit dem Fall Dynamit, wie Max ihn nennt, nimmt Jonas nur allzu gerne das Angebot an, seinen Film endlich zu realisieren. Er stürzt sich in die Arbeit als Filmemacher. Doch Max letzter Rat lautet, hier vorsichtig zu sein. Was er damit meinte erfährt Jonas erst, als man ihm auf einer Reise zur Drehortbesichtigung in Thailand aus dem Verkehr ziehen will, er seine Montecristo-Geschichte selbst erlebt. Der Videojournalist hat sich also scheinbar mit den ganz Großen angelegt, die die schillernde Seifenblase, in der sie leben und mit der sie – vermeintlich - versuchen, das Gemeinwohl zu schützen und den sozialen Frieden zu wahren, mit allen Mitteln verteidigen.
Ein höchstspannender Schweizer Thriller, der in kurzen Kapiteln und in sachlichem aber detailliertem, niemals langatmigem oder langweiligem Ton geschrieben ist. In den ersten beiden Teilen der Erzählung verfolgt der Leser nicht nur Jonas‘ Erlebnissen, sondern einzelne Kapitel lassen Einblicke gewinnen in die Machenschaften der Mächtigen der Schweizer Finanzwelt, denen Jonas Berichterstattung auf die Füße zu fallen droht. Man lernt viele interessante Charaktere kennen, vom Mädchen für alles bei der Bank bis hin zum Bankenvorstand, Kollegen und die Familie Continis, Max Gantmann und seine Welt, einen Auftragskiller, Personen aus dem Filmgeschäft und dessen Abhängigkeit von Geldgebern. Im dritten Teil müsste Jonas‘ Dynamit, einmal gezündet, eine ordentliche Explosion verursachen. Doch Martin Suter wartet mit einer erstaunlichen Wendung auf. Rasant und lesenswert!