Rezension

Glycinienmord - Intelligenter, flüssig geschriebener Gesellschaftskriminalroman.

Glycinienmord - Nicole Joens

Glycinienmord
von Nicole Joens

Bewertet mit 4 Sternen

Glycinienmord - Ein neuer Duft des Verbrechens.

Nach über zwanzig Jahren Abwesenheit, in denen Dr. Jens Hauser in Amerika zu einem erfolgreichen Universitätsdozenten und berühmten kriminalistischen Ermittler avancierte, kehrte er im Auftrag der bayrischen Regierung in seine Heimatstadt Kehlheim an der Donau zurück, um dort bisher ungeklärte Todesfälle aus der Nachkriegszeit aufzugreifen und mit modernen forensischen Methoden aufzuklären.

Gisela Martin, seine Freundin aus Kindertagen, seine einstige Geliebte, die irgendwo, was die Liebe anbelangte, tief im Inneren das Maß aller Dinge für ihn geblieben war, traf er bei seiner Heimkehr nur noch auf ihrem Totenbett, auf dessen Bezug in blutigen Buchstaben das Wort "Glycinie" geschrieben stand. Das Leben hatte sie auseinander gedriftet, beider Gefühle wandten sich anderen Menschen zu, die ihrigen schienen in der Ehe mit Dimiti Hossas und der Geburt ihrer Tochter Rosalie ihre Entsprechung zu finden, die seinigen blieben trotz kurzer Ehe unstet, bindungslos und lustbezogen, stets bereit für Neues zu entflammen und Vorhandenes beiseite zu schieben.

Die ständige, nachher nur noch qualvoll-lästige Verbindung zwischen ihnen waren Giselas unzählige emails gewesen, in denen sie ihren Vater Rolf der unmenschlichsten Verbrechen anklagte, ihm Korruption, Betrug, Drogengeschäfte und Kinderhandel zur Last legte und ihn bezichtigte, der Kopf eines verbrecherischen Konzerns für Giftmüll-Entsorgung zu sein, der seine Machenschaften über die Grenzen hinweg ausgedehnt hatte, aber niemals zu einer Anklage und Verurteilung führte.

Durch die Umstände von Giselas Tod kamen neue geheimnisvolle Aspekte dazu. Was hatte der Hinweis auf die Glyzinie zu sagen? Handelte es sich hier um das gleiche Konzentrat, das Rolf Martins Mutter den jungen Schlesiern in Breslau 1945 als Fluchtgepäck mit auf den Weg gegeben hatte? Rolf Martin könnte noch im Besitz desselben sein, aber ebenso Anna Hauser, die Mutter von Jens, die auch als Vertriebene zum großen Treck nach Kehlheim gehört hatte. Dann waren noch Spuren von Kohlenmonoxyd bei der Toten zu entdecken, die ebenso Mord als auch Selbstmord zuließen, falls Gisela alles durchdacht und initiiert hatte.

Ein Wirrwarr von Spuren ergibt hier eine scheinbar unlösbare Aufgabe für Jens Hauser und sein Team. Seine Assistentin Olivia und die Polizeipsychologin Lilian, beide begabt in ihrem Genre, intelligent, clever und attraktiv versuchen mit all' ihren Möglichkeiten, die Fakten zur Aufklärung des Falles zu analysieren, ihre persönlichen Gefühle für ihren Arbeitgeber bringen allerdings noch zusätzliche Erschwernis in die Angelegenheit und nur ein gerütteltes Maß an Loyalität verhindert hier einen "Zickenkrieg" und rückt die Ermittlung wieder in den Vordergrund.

Nicole Joens hat sich hier mit einem sehr facettenreichen Roman vorgestellt, der sich problemlos in so manches Genre einordnen lässt. Man findet sowohl kriminalistische als auch gesellschaftskritische und stark gefühlsbetonte Aspekte - ein Buch, dass sich eigentlich je nach Wunsch oder Bedarf einem unterschiedlichen Leserklientel zu öffnen vermag. Es in ein bestimmtes Schema zu pressen, wäre dem Buch nicht gerecht, würde sicherlich irreleiten und gerade das Ungewöhnliche an diesem Roman unerwähnt lassen.

Die Protagonisten sind ausgefallen, entsprechen durchweg ebenfalls keiner Norm, sind detailliert geschildert und bleiben sehr gut im Gedächtnis.

Das Thema ist vielschichtig, von unterschwelliger Spannung, aber die Ermittlung als solche dominiert nicht ständig, sodass auch Milieu - und Charakterstudien durchaus ihren Platz beanspruchen.

Frau Joens schreibt - so wie man es von ihr gewöhnt ist - flüssig, wortgewandt und intelligent, sodass man kein Problem hat, der Lektüre unverzüglich zu folgen.

Eine allgemein gültige Leseempfehlung kann man als individualistischer Leser ja sowieso nicht aussprechen - ich würde sagen, dass man diesen Roman zur Hand nehmen soll, wenn man Ungewöhnlichem interessiert gegenübersteht.

Dies Buch hat auf alle Fälle eine sorgfältigere Korrektur verdient.

Weniger