Rezension

The kid is not alright

Windstärke 17 -

Windstärke 17
von Caroline Wahl

Bewertet mit 5 Sternen

Ach Ida. Meine kleine Heldin aus „22 Bahnen“. Frank Spilker hätte in den 90ern vermutlich „Was hat dich bloß so ruiniert?“ gesungen, aber eigentlich ist das ja eine rhetorische Frage. Die Mutter Alkoholikerin, die Schwester schweren Herzens ausgezogen und dann, ja, der Rest des Teenagerlebens. So ist aus der toughen, witzigen, klugen 10-Jährigen eine verzweifelte Mittzwanzigerin geworden, die nach dem Tod ihrer Mutter nicht weiß, wohin mit sich.

Vielleicht erst einmal das Wichtigste: „Windstärke 17“ funktioniert vermutlich auch, wenn man „22 Bahnen“ nicht gelesen hat. Ja, es ist eine Fortsetzung, aber sie spielt gut anderthalb Jahrzehnte später, setzt nicht wirklich etwas voraus. Vielleicht ist Caro Wahls zweiter Roman sogar weniger traurig, wenn man den Vorgänger nicht gelesen hat.

Zu sehen, wie Ida sich verändert hat, ihre Beziehung zu ihrer Schwester Tilda verkompliziert ist, schlägt zeitweise schon aufs Gemüt. Vor allem, wenn man Ida nicht in den Arm nehmen oder ihr weiße Eszet-Schnitten aufs Brot legen kann. Aber: Dafür gibt es ja Marianne. Die heimliche Heroine von „Windstärke 17“, die Ida nach ihrer Flucht nach Rügen aufnimmt, aufpeppelt und dabei selbst so manche Traurigkeit in sich trägt.

Auch in ihrem zweiten Roman zeigt Caroline Wahl, wie fantastisch und wundervoll ihr Stil ist. Wie sie die Figuren zeichnet, ihre Gedanken offenlegt und alles ganz unverkitscht in Worte fasst. Wie sie die Natur einbindet, die stürmische See, die hohen Bäume des Kletterwalds, wieder einmal die Wasser- und Waldthemen, die schon in „22 Bahnen“ auftauchten. Wie sie aber auch zeigt, dass manches in der ersten Geschichte von Tilda und Ida nur Fassade war, vor allem Idas Stärke, mit dem Alkoholismus ihrer Mutter umzugehen und ihrer Schwester Mut zu machen, ihren eigenen Weg zu gehen. Und wie Ida nun versucht, ihren eigenen Weg überhaupt erst einmal zu finden.

Mein Fazit zu „22 Bahnen“ war, dass es ein Verarbeitungsroman ist. Bei „Windstärke 17“ passt das bedingt. Ja, Ida hat viel zu verarbeiten, ist am Ende aber noch nicht so weit wie Tilda. Vielleicht ist das aber auch gut so. Es bleibt viel Spielraum, was noch alles passiert – mit Ida und Marianna und Knut und Leif und natürlich auch Tilda und ihrer Familie. Und so passt ein anderes Fazit vielleicht dann auch: Wie schon Caro Wahls Debüt hat auch „Windstärke 17“ das Potenzial zum Buch des Jahres. Und das muss man als Autorin mit den ersten beiden Romanen erst einmal schaffen.