Rezension

Wenn Fanatismus blind macht ...

Wir sehen uns unter den Linden - Charlotte Roth

Wir sehen uns unter den Linden
von Charlotte Roth

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der Klappentext von Büchern wird vom Verlag geschrieben, hier haben die Autorinnen und Autoren wohl wenig Einfluss darauf. So ist denn auch dieser ein wenig irreführend, suggeriert er dem Leser doch, dass der Roman von einem Leben in Ost und West nach dem Mauerbau handelt. Doch dieses Buch hört eigentlich genau dort auf!

„Wir sehen uns Unter den Linden“ fängt mit einem für die damals sechzehnjährige Susanne lebensverändernden Ereignis an, nämlich der Erschießung ihres Vaters vor ihren eigenen Augen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach diesem Einstieg wechselt der Roman in nicht chronologischer Reihenfolge zwischen Zukunft und Vergangenheit. Was anfänglich anhand der vielen Charaktere ein wenig schwierig erscheint, entwickelt sich schnell zu einem Leseerlebnis der besonderen Art. Endlich wurde auch mir einmal plausibel gemacht, was die Menschen damals dazu bewog, einen Arbeiter- und Bauernstaat ins Leben zu rufen, der von Kontrollen und Entbehrungen geprägt war. Die beiden Hauptcharaktere Sanne und Kelmi machen es dem Leser nicht leicht. Während der sympathische junge „Westler“ Kelmi sich unsterblich in Susanne verliebt hat, kämpft sie einen Kampf im Osten Berlins mit sich aus, der sich fasst nicht lösen lässt. In ihrer Verbohrtheit lässt sie das Leben an sich vorbeigleiten, klammert sich an Illusionen und riskiert dabei, alles zu verlieren ...

Charlotte Roth traut sich mit diesem Roman die Wahrheit ans Licht zu holen. Die Denunzierungen, Verfolgungen und Verleumdungen ziehen sich wie ein roter Faden – beginnend bereits in den zwanziger Jahren bis eben zu jenem besagten Mauerbau. Sie haben mir die Vergangenheit ein Stück nähergebracht und erklärt, wie wichtig es ist mutig zu sein und an etwas zu glauben, wie ebenso wichtig es jedoch auch ist einzusehen, wenn man sich verrannt hat.

Das Ende des Buches ist ausgesprochen gut gelungen und hat mich positiv überrascht. Für eine gewisse Langatmigkeit, die sich ab und zu mal breit macht, ziehe ich ein halbes Sternchen ab, gebe aber dennoch eine absolute Leseempfehlung. Charlotte Roth kann schreiben, das hat sie mit diesem Roman mal wieder hinreichend bewiesen!