Rezension

Spannendes Thema - blasse Figuren

Wir sehen uns unter den Linden - Charlotte Roth

Wir sehen uns unter den Linden
von Charlotte Roth

Bewertet mit 3 Sternen

Zuverlässig einmal im Jahr gibt es Neues von Charlotte Roth und ihre Ideen sind immer gut.

Hier erzählt sie die Geschichte einer Künstlerfamilie von den 20er Jahren bis in die 60er hinein. Episoden führen den Leser kreuz und quer durch die Jahrzehnte, bis sich das Bild schließt. Volker und Ilo haben sich in den 20er Jahren kennengelernt und den Zweiten Weltkrieg gemeinsam durchlitten. Ilo war eine gefeierte Sängerin, bis das Naziregime ihre Karriere ausbremste. Ihre Tochter Suse hat diese Zeit geprägt. Jetzt hilft sie linientreu dabei, die junge DDR aufzubauen. Als sie sich in Kelmi aus dem Westen verliebt, passt das nicht in ihre Lebensplanung. 

Es ist eine tolle Idee, so einen weiten Bogen zu spannen und zu zeigen, welche Auswirkungen die Nazizeit auf die Ideale der DDR hatte. Ähnliches habe ich noch nicht gelesen und auch nur wenig darüber nachgedacht, das ist sehr spannend. Diese Idee anhand einiger Schicksale zu demonstrieren ist nicht so gut gelungen.

Die Handlung springt episodenhaft durch die Jahrzehnte, anders kann man wohl auch nicht so einen großen Zeitraum abhandeln, aber es bleiben Lücken. Eine davon ist die Gründung der DDR, die komplett ausgespart wird. Man bekommt es direkt mit sehr linientreuen Genossen zu tun, die jedem Westbürger eine faschistische Gesinnung unterstellen und sich und ihren jungen Staat deutlich davon distanzieren möchten. Solche Menschen mag es gegeben haben. Um ein realistisches Bild der DDR-Bevölkerung zu malen hätte es aber auch sanftere Töne gebraucht. Man bekommt den Eindruck, es mit einem Volk voller Fanatiker zu tun zu haben, das glaube ich dann doch nicht. 

Deshalb bleibt auch Suse, die Hauptprotagonistin, sehr blass. Sie ist die ideale DDR-Funktionärin, aber nicht die junge Frau, mit der der Leser mitfiebert. Ihre Liebe zu Kelmi, dem Koch mit Herz schlechthin, kauft man ihr kaum ab. 
Die Figuren sind vielseitig und originell komponiert, werden aber nicht lebendig, auch weil viele Dialoge hauptsächlich dazu dienen, den politischen Rahmen zu erläutern. Die Autorin schreibt mit Herzblut, hat es aber nicht geschafft, den Klischees Leben einzuhauchen, was mich ein wenig wundert, ist doch genau das sonst ihre Stärke. 

Das neue Buch von Charlotte Roth ist wieder ein gut recherchierter und detailreicher historischer Roman zu einem ungewöhnlichen Thema. Richtig gepackt hat es mich diesmal leider nicht.  

Kommentare

wandagreen kommentierte am 01. Juni 2019 um 15:29

Eine sehr faire Rezension!