Rezension

Auf der Suche nach Erinnerung

Remember Mia - Alexandra Burt

Remember Mia
von Alexandra Burt

Estelles Erinnerung muss mühsam und langwierig zurückgewonnen werden. Einen Thriller sucht man hier vergebens.

Als Estelle Paradise schwer verletzt in einem Krankenhaus aufwacht, sind die letzten Wochen aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Sie weiß weder, wie sie nach Dover kam, wo sie mit einem Auto in eine Schlucht gestürzt ist, noch, woher die Schusswunde an ihrem Kopf rührt. Vor allem aber weiß sie nichts über Mia, ihre sieben Monate alte Tochter, die kurz zuvor verschwunden ist. Stück für Stück versucht sie, die fehlende Zeit zu rekonstruieren.

Dieses Buch stellt sich als Thriller vor und erzeugt damit falsche Erwartungen. Denn anstatt mit Spannung und Nervenkitzel zu unterhalten, begleitet die Geschichte Estelle auf einem mühsamen und langwierigen Weg. Dazu gibt es immer wieder Rückblenden, in denen sie sich selbst, insbesondere unter dem Aspekt des Mutterseins, kritisch reflektiert. Oft tauchen kleine Erinnerungsfetzen auf, die, zunächst vergeblich, in einen Sinnzusammenhang gestellt werden wollen. 

Estelle erzählt in der Ichperspektive, Aktuelles im Präsens, Vergangenes im Präteritum, und lässt den Leser unmittelbar an ihren Gedanken, ihren Erlebnissen und ihrer Entwicklung teilhaben. Sie hadert, zürnt und wehklagt, beobachtet, auch sich selbst, eingehend. Und, wie es auch im wahren Leben wohl wäre, wiederholt sie sich, bestärkt sich dadurch. 

In den Personen, auch den Behörden, die ihr begegnen, trifft sie auf mehr Widerstand als Unterstützung. Manchmal mutet das geradezu ungeheuerlich an, ist aber eventuell erklärbar aus der Tatsache, dass in den USA sich so manche Rechtslage anders darstellt als für deutsche Leser gewohnt.

Es ist fraglich, ob die Schilderung der gesamten Geschichte in der dargebotenen Ausführlichkeit nötig gewesen wäre. Ganz ohne Frage gelingt hier ein sehr eingehendes, tiefes und umfassendes Porträt einer verzweifelten jungen Mutter in einer Extremsituation. Deren absolute Hilflosigkeit wäre ohne den quälend zähen Erwerb winziger Fortschritte und damit verbundener Längen vielleicht nicht solchermaßen zu vermitteln gewesen. Doch bleibt die Frage, ob zugunsten der Authentizität unbedingt auf Lesevergnügen verzichtet werden muss.