Rezension

Hin- und hergerissen ...

Tintenherz - Cornelia Funke

Tintenherz
von Cornelia Funke

Bewertet mit 4 Sternen

Meggie liebt Bücher. Das muss in der Familie liegen, denn ihr Vater Mo ist Buchbinder. Und auch ihre etwas verschrobene Tante Elinor, die weit weg auf einem alten Landsitz wohnt, hat diesen vollgestopft mit den erlesensten Literaturschätzen. Eines Tages platzt der zwielichtige Staubfinger in das beschauliche Vater-Tochter-Leben, warnt Mo vor einem gewissen Capricorn und veranlasst ihn, Hals-über-Kopf mit Meggie zur Tante aufs Land zu flüchten. Im Gepäck ganz viele Bücher. Und ein besonderes, geheimnisvolles Buch, dessen Inhalt Meggie weder lesen noch sehen darf. Nur so viel hat sie erspäht: in dem Buch befindet sich ein Bild eines gehörnten Frettchens; und auch Staubfinger besitzt so ein merkwürdiges Tier. Mit diesem Buch stolpern Meggie und ihr Vater in ein Abenteuer, das sie sich nicht gewünscht hatten ...

Es begann zu dämmern, als die Berge zurückwichen und hinter grünen Hügeln, weit wie ein zweiter Himmel, plötzlich das Meer auftauchte. Die tief stehende Sonne ließ es schimmern wie die Haut einer schönen Schlange. Es war lange her, dass Meggie das Meer gesehen hatte. Es war ein kaltes Meer gewesen, schiefergrau und blass vom Wind. Dieses Meer sah anders aus, ganz anders.
Es wärmte Meggie das Herz, es nur anzusehen, aber es verschwand viel zu oft hinter hässlich hohen Häusern. Überall wucherten sie auf dem schmalen Streifen Land, der zwischen dem Wasser und den herandrängenden Hügeln lag.

Ich weiß nicht, habe ich jemals so atemberaubend schöne Landschaftsbeschreibungen in einem Kinderbuch gelesen? Denn, ja, es ist ein Kinderbuch. Meggie ist zwölf Jahre alt und verhält sich auch so. Und für ein Kinderbuch ist es ganz schön heftig. Nicht nur, dass die sozial durchaus noch nicht überreife Protagonistin ständig irgendwelchen Leuten irgendetwas an den Hals wünscht ("Ich hoffe, er bekommt eine Lungenentzündung, dachte Meggie") oder ihnen denselben umdrehen will, oder der durch und durch böse Basta zum fünfundzwanzigsten Mal damit droht, jemandem die Nase oder sonst irgendwas abzuschneiden. Was mich noch mehr befremdet hat, ist eine Art gezielter Respektlosigkeit gegenüber christlichen Werten, die ich so in einem Kinderbuch nicht erwartet hätte. Das Hauptquartier des Bösen in einer blutrot von innen getünchten alten Dorfkirche anzusiedeln, überschreitet für mich sämtliche Grenzen des guten Geschmacks.

Das nervt mich ein bisschen an Cornelia Funke, dass die Bösen immer gleich so abgrundtief böse und grausam sind. Aber wie sie das Feuer zu beschreiben vermag! Das ist unglaublich. Allein dafür lohnt es, das Buch zu lesen. Was mir auch gut gefällt, sind die literarischen Kapitelüberschriften. Jedem Kapitel ist nämlich ein kurzer Ausschnitt aus irgendeiner fantastischen Erzählung vorangestellt, auf Seite 114 zu meinem Entzücken mein Lieblingslied aus dem Herrn der Ringe.

Bei diesem Buch bin ich immer wieder hin- und hergerissen. Insgesamt finde ich den Handlungsverlauf eher mau, wenn auch die Grundidee, wie eigentlich immer bei dieser Autorin, ausgesprochen reizvoll ist. Aber was es wirklich rausreißt, ist die Sprache. Wunderschöne, ausdrucksstarke Bilder, dass man aus dem Schwärmen gar nicht mehr herauskommt ...

Staubfinger brach auf, als die Nacht nicht mehr dunkler werden konnte. Der Himmel war immer noch bewölkt, nicht ein einziger Stern war zu sehen. Nur der Mond tauchte ab und zu zwischen den Wolken auf, schwindsüchtig dünn, wie ein Scheibchen Zitrone in einem Meer von Tinte. ...