Rezension

Die Niemalswelt - Unglück oder Chance?

Niemalswelt - Marisha Pessl

Niemalswelt
von Marisha Pessl

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sechs Freunde, ein mysteriöser ungeklärter Tod, fünf eigene Geschichten, fünf dunkle Geheimnisse und eine Wahrheit. Ein Jahr nach dem plötzlichen Tod des Gruppenanführers Jim, trifft Beatrice (Bee) erstmals wieder auf ihre (ehemaligen) Freunde Kip, Whitley, Martha und Cannon. Trotz der Distanz, die sich zwischen ihrer Funkstille, ausgebreitet hat, gehen sie auf eine Party. Doch auf dem Rückweg kollidieren sie beinahe mit einem anderen Auto und entkommen nur knapp dem Tod - denken sie zumindest bis plötzlich der "Wächter" vor der Tür steht und ihnen mitteilt, dass sie in einer Zeitschlaufe, der Niemalswelt, gefangen sind und dieselben 11 Stunden immer wieder durchleben werden, solange bis einstimmig jemand erkoren wird, der als einziger/einzige überleben darf, denn eigentlich sind alle bei dem Beinahe-Unfall, der keiner war, ums Leben gekommen, alle bis auf eine Person. Damit beginnt die Suche nach der Wahrheit, bis zum bitteren Ende.

 

Die Idee mit der Zeitschleife konnte mich bereits zu Beginn begeistern. Auch wenn mir der Anfang schwer fiel, da so viele Informationen fehlten und ich Probleme hatte schlau aus Bee zu werden, aus deren Sicht die Geschichte in der Ich-Perspektive geschrieben ist, da sie kalt, unnahbar und einfältig wirkte, habe ich schnell Anschluss gefunden. Auch die "Freunde" wirkten ziemlich konstruiert, teilweise klischeehaft, aber bei genauerem Hinschauen doch einzigartig und jeder auf seine Art spannend und für Überraschungen gut. Doch mit der Zeit und mit dem Beginn der Zeitschleife konnte ich allen gewisse Sympathien entnehmen, auch wenn die Charaktere sehr schrullig waren und einiges verstörend wirkte. Dennoch empfand ich Bee als den schwächsten und fadsten Charakter. Deswegen freute mich ihre Charakterentwicklung am meisten und es machte viel Spaß ihr bei der Suche nach sich selbst und der Wahrheit zu folgen.

Der Schreibstil ist angenehm und leicht zu lesen. Manchmal haben mich gewisse Beschreibungen von Gegenständen, Produkten, Personen und einige Belanglosigkeiten leicht gestört, da ich auch nach der Beschreibung nicht schlauer oder wissender war. Vor allem da sie meist keine weitere Bedeutung für die Geschichte hatten.

Die Konstruktion der Niemalswelt und der Hintergrund dieser haben mich vollkommen umgehauen und ich hatte Assoziationen zum Wunderland von Alice, da vieles seine eigenen physikalischen Besonderheiten und Gesetze hatte, die abhängig von den daran beteiligten Personen waren und auch Rückschlüsse auf ihre Charaktere, Vergangenheit, Meinungen, Hobbies und vieles mehr zuließen und sie auf geniale Weise in die Welt integrierten. Schade fand ich es nur, dass der Sinn dieser Niemalswelt nicht weiter ausgeführt wurde. Es war so, dass sie darin gefangen waren und es kein Entkommen gab und sie mussten es hinnehmen und das war's. Die höheren Mächte oder der Sinn dahinter wurden mit keinem Wort erwähnt oder auch nur angedeutet.

Insgesamt gibt es drei Teile, die immer einen Umbruch in der Geschichte, von einem Teil zu einem anderen, markieren. Die unterschiedlichen Dynamiken jeden Teils und die Geschehnisse waren sehr unterhaltsam und schlüssig, für keinen Moment langweilig oder unpassend.

Die Ermittlungen zu Jims Tod waren schwierig und mit vielen Stolpersteinen belegt und offenbarten so einige dunkle Geheimnisse, die zu dem tragischen Tod eines aufstrebenden Stars führten. Die Geheimnisse fast aller Protagonisten rund um den Tod Jims wurden geschickt in den Verlauf der Handlung eingebaut und offenbart, alle, bis auf eines, welches rückblickend den Großteil der Geschichte beeinflusste, ohne das es dem Leser oder Bee überhaupt bewusst war. Ich sag nur: Stille Wasser sind tief.

Trotz all der aufregenden, mitreißenden Szenen, entstanden am Ende eine gewisse Tiefgründigkeit und Selbstlosigkeit die den Handlungen der Geschichte zu Grunde lagen und einen regelrechten Überraschungseffekt entstehen ließen, welcher die Protagonistin Bee und die anderen befreite. Diese Momente konnten mich berühren und zeigen wie herzensgut und altruistisch einige Menschen doch sind.

 

Ein innovatives World-Building der Niemalswelt, mit überraschenden Wendungen, unvorhersehbaren Entwicklungen, eigentümlichen Charakteren und einer folgenschweren Entscheidung, die berührender nicht sein könnte und so tief verborgen in allem ist, dass man sie nicht erahnen kann.