Rezension

Deprimierend realistisch

Institut für gute Mütter -

Institut für gute Mütter
von Jessamine Chan

Bewertet mit 4 Sternen

Eine sehr herausfordernde Lektüre. Sie behandelt die unrealistischen Erwartungen unserer Gesellschaft an Mütter und die gleichzeitig niedrigen Erwartungen an Väter. Jede Mutter dürfte sich bei der Lektüre fragen, ob sie bestehen würde, wenn der Staat die mütterliche Leistung nach bestimmten, datengestützten Kriterien messen würde.

Der Roman ist eine Variante des Topos "Zu Unrecht verurteilt". Ist eine Mutter so schlecht wie ihr schlechtester Tag? Frida, die Heldin des Romans, macht einen Fehler - und die Behörden entziehen ihr das Sorgerecht. Sie kann sich aussuchen, ob sie auf das Sorgerecht verzichten will - oder ein Jahr in der "Schule für gute Mütter" absolvieren, wo gruselige AI-Puppen die Kinder der verknackten Mütter simulieren.

Dabei ist Fridas Fehler tatsächlich ein arger Ausrutscher - sie lässt ihr Kleinkind zweieinhalb Stunden lang zu Hause in einer Babywippe allein. Vielleicht hätte sie es auch wieder gemacht - wer weiß? Genau das ist der geniale Kunstgriff Chans. Man kann sich mit Frida identifizieren - aber nicht so ganz. Dennoch wird deutlich, dass die Anforderungen, die an die Mütter des Instituts gestellt werden, vollkommen unrealistisch sind. Niemand kann sie erfüllen. Letztlich resultiert die Erfüllung aller Parameter in der Aufgabe aller Persönlichkeitsanteile einer Frau außer dem der Mutter - Beruf, liebende Frau, Sportlerin - vergiss es. Während die schlechten Väter in der Paralellorganisation weitaus nachsichtiger behandelt werden.

Der Roman folgt den Lektionen der Schule und schildert in quälender Ausführlichkeit die Hoffnungen, das programmierte Versagen und in zwei Fällen den Suizid der betroffenen Mütter. Das war mir deutlich zu lang, zu viel, zu düster, nicht auszuhalten. Daher habe ich öfter mal quergelesen. Auch das Greifen der Gehirnwäsche bei Frida, die sich am Anfang auflehnt, die Ungerechtigkeiten und Unfairness benennt, sich dann aber aufgibt für die unrealistisch kleine Chance, ihre Tochter wiederzubekommen, war äußerst schmerzhaft zu lesen,

Der Roman ist keine Dystopie - er spiegelt nur leicht überzogen das, was unsere Gesellschaft allen Frauen antut und macht es dadurch wahrnehmbar. Das Ende fand ich dermaßen deprimierend, dass ich hier eine Triggerwarnung aussprechen muss - Mütter von (kleinen) Kindern sollten den Roman vielleicht lieber nicht lesen.