Rezension

Ellen Sandberg hat sich selbst übertroffen

Die Schweigende - Ellen Sandberg

Die Schweigende
von Ellen Sandberg

Bewertet mit 5 Sternen

Als Jens Remy stirbt, hinterlässt er seine Frau Karin und die drei erwachsenen Töchter Anne, Geli und Imke. Da die vier Frauen grundverschieden sind, beginnt die Familie mit dem Tod des Vaters auseinanderzubrechen. Zudem hat Jens seine Tochter Imke gebeten, nach Peter zu suchen. Diesen Namen hat Imke jedoch noch nie gehört. Als sie sich auf die Spurensuche begibt, muss sie feststellen, dass sie im Grunde nichts über ihre Mutter und deren Vergangenheit weiß…

Das Buch spielt auf mehreren Zeitebenen. Eine Ebene spielt in der Gegenwart, dem Jahr 2019. Hier lernen wir die Töchter von Jens und Karin Remy kennen. Sie stehen alle drei Mitten im Leben, haben jedoch sehr unterschiedliche Lebenswege gewählt. Ellen Sandberg hat sie alle sehr komplex und vielschichtig angelegt, sodass ich mir als Leserin ein sehr genaues Bild von ihnen machen kann, ohne dass sich die Geschichte verzettelt. Imke ist die hilfsbereite, vermittelnde Tochter. Anne wird von Ehrgeiz zerfressen, sieht nur sich und ihre Bedürfnisse und die Schuld, wenn etwas nicht klappt, liegt immer bei jemand anderem. Geli hat von ihrem verstorbenen Mann ein großes Vermögen geerbt, ist ihren Kindern gegenüber sehr überbehütend und leidet immer noch unter ihrer gefühlskalten Mutter.

Die Mutter Karin lernen wir als trauernde Witwe kennen. Sie muss den Verlust ihres geliebten Mannes, der zudem ihre Stütze war, verkraften. Aufgrund der Nachforschungen über Peter, wird sie nach vielen Jahrzehnten wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Wir verfolgen, wie sie als Teenagerin ihren Weg sucht und wir erleben, wie sie gebrochen wird. Ellen Sandberg lässt uns auch an der ersten Begegnung von Jens und Karin teilhaben. Eine Karin, die kaum noch etwas gemein hat, mit dem lebensfrohen, selbstbewussten und starken Teenager. Und genau das finde ich sehr interessant dargestellt, wir lernen die drei verschiedenen Persönlichkeiten Karins kennen und das nebeneinander, da wir uns mal in der Gegenwart, mal in den 50er Jahren und mal zwischen diesen Zeiten befinden. Es ist erstaunlich und erschreckend, wie sehr sie sich verändert hat im Laufe ihres Lebens. Die Umstände, unter denen Karin gebrochen wird und ihre Persönlichkeit sich verändert hat, sind für mich als Leserin zum Teil kaum zu ertragen. Die Autorin schildert alles sehr anschaulich und glaubhaft.

Genauso gut arbeitet die Autorin die Dynamik zwischen den vier Frauen heraus. Was treibt sie jeweils an, wie sehen die Persönlichkeiten aus und wie beeinflussen sie sich gegenseitig. Dazu kommt dann noch, dass das Wissen um die Vergangenheit der eigenen Mutter auch für Veränderungen in der Familienenergie sorgt.

Das alles ist so anschaulich und mitreißend beschrieben, dass ich das Buch gar nicht aus der Hand legen mochte. Hat mich Ellen Sandberg vor ein paar Jahren mit „Die Vergessenen“ begeistert, so dass ich sehnsüchtig auf jeden weiteren Roman von ihr warte, hat sie mich nun leidenschaftlich für dieses Buch entflammt. Auch dieses Buch von ihr ist wieder ein Jahreshighlight.