Rezension

Flach, konstruiert, ohne jede Spannung

Ich bin die Nacht - Ethan Cross

Ich bin die Nacht
von Ethan Cross

Bewertet mit 1 Sternen

„Ich bin die Nacht“ von Ethan Cross ist der Auftakt zur mehrteiligen Shepherd-Reihe, in deren Mittelpunkt der ehemalige Polizist Marcus Williams steht. Was als Thriller über einen wahnsinnigen Serienmörder angepriesen wird, ist in der Realität einer eine Intrige innerhalb der Polizei. Die Figuren sind flach, der Plot unglaubwürdig und alle Wendungen so abstrus, das für mich zu keinem Zeitpunkt Spannung aufgekommen ist.

ACHTUNG: SPOILER!

Es gibt zwei Dinge an diesem Buch, die ich gut finde: Das Cover bzw. die gesamte Aufmachung des Buches und den Klappentext. Beides bewerte ich jedoch bei keinem Buch, entsprechend fließt es auch hier nicht mit ein. Ich konnte keine Rechtschreibfehler oder Übersetzungprobleme finden, doch auch das beeinflusst meine Bewertung nur, wenn ich gravierende Mängel entdecke. Alles andere, und ich meine wirklich: alles andere ist in meinen Augen schlecht.

Der Klappentext verspricht einen sehr spannenden Serienmörder namens Francis Ackerman junior. Tatsächlich kommt er in diesem Buch auch vor, aber er ist nicht der namensgebende "Shepherd", um den es in dieser Reihe geht. Die wahre Hauptperson ist Marcus Williams, ein ehemaliger Polizist, der sich in einer abgelegeneren Stadt ein neues Leben aufbauen möchte. Er wird direkt in eine Schlägerei verwickelt und kommt so in Kontakt zum örtlichen Sheriff und dessen Tochter Maggie. Während Ackerman fröhlich mordet, verfolgen wir die Geschichte von Marcus, bis sich die Wege kreuzen. Marcus stolpert über eine von Ackerman hinterlassene Leiche. Ziemlich schnell wird ihm klar, dass der Tatort mehr als eine Ungereimtheit aufweist, er kehrt also nachts zusammen mit dem Sheriff zurück und entdeckt - der Sheriff hat Ackerman festgesetzt und will offenbar Lynchjustiz begehen.

Von dem Punkt an wird der Plot immer abstruser: Marcus ist nicht begeistert von den Plänen des Sheriffs, er flieht und wird von der Polizei verfolgt, entdeckt, dass es offenbar ein ganzes Netzwerk von durchgedrehten Polizisten und Justizbeamten gibt, die sich anmaßen, eigenständig über Verbrecher richten zu dürfen, so dass er keinem mehr trauen kann. Während Marcus auf der einen Seite Ackerman weiter verfolgt, muss er sich vor der Polizei verstecken und sucht einen Weg, alles offen zu legen - am besten so, dass man ihm auch glaubt und niemand im Hintergrund dagegen wirken kann. Überraschend kommen ihm Personen zu Hilfe, bspw. Maggie, die verdeckt für den angeblichen Immobilienmakler ermittelt, der in Wirklichkeit vom FBI ist und Marcus verrät, dass seinen Erkenntnissen nach sogar der Präsident der Vereinigten Staaten hinter dem Netzwerk stecken könnte. Ein Showdown steht an, Verbündete verraten sich gegenseitig und am Ende ist doch wieder alles ganz anders, als man dachte.

Zunächst: Ein Thriller muss nicht immer weltumspannende Bedrohungen oder politische Intrigen auf höchster Regierungsebene beinhalten, um spannend zu sein. Dass plötzlich und aus dem Nichts der Präsident mit drin hängen soll, hat mich zu heftigem Augenrollen veranlasst. Nicht immer muss die Welt auf dem Spiel stehen.

In meinen Augen lebt ein guter Thriller von seinen Figuren. Wenn ich als Leser mich mit einer Figur identifizieren kann, fesselt mich das Geschehen ganz anders. Vielleicht finde ich auch einfach nur einen Charakter ungemein spannend und will mehr erfahren. In jedem Fall aber muss es für mich das Zusammenspiel der Protagonisten und Antagonisten sein, die die Geschichte vorwärts treiben. Das ist hier leider nicht der Fall. Es gibt einen - wie man am Ende erfährt - klar gestrickten Plot und der Autor setzt Himmel und Hölle in Bewegung, damit alle Figuren sich plot-angemessen verhalten. Das hat Konsequenzen, sehr negative.

Keine die Figuren hat einen Charakter. Niemand. Francis Ackerman jr. hat im Klappentext mehr Charakter, als er es später im Buch hat. Natürlich steckt in jedem Serienmörder irgendein psychisches Problem. Doch das möchte ich nicht in der ersten Szene, in der er auftritt, erfahren. Ich möchte mich zumindest eine Zeit lang gruseln, über seine abgrundtiefe Bösartigkeit entsetzt sein und fasziniert der eiskalten Berechnung des Killers zuschauen. Stattdessen bekomme ich von Anfang an einen Menschen, der von seinen Kindheitstraumata und den daraus resultierenden psychischen Problemen definiert ist. Eine psychische Krankheit ist kein Charakterzug! Ackerman bleibt charakterlos, da der Autor sich viel zu sehr mit seiner psychischen Krankheit auseinandersetzt. Entsprechend bleibt Ackerman uninteressant und austauschbar.

Ebenso Marcus Williams: Er ist die Hauptfigur und wir erfahren wortwörtlich nichts über ihn. Er war einmal ein Polizist und ist es nicht mehr, da er - in einer wahnsinnig schockierenden Wendung - einst selbst Lynchjustiz benutzt hat, um einen Serienvergewaltiger und Mörder zu töten, von dem er wusste, dass er davon kommen würde. Das ist seine wahnsinnig dunkle Vergangenheit, die ihn bis in seine Träume verfolgt und sein Handeln stets zu determinieren scheint. Ständig ist die Rede von einer Bestie, die in seinem Innersten lauert und ihn Ackerman gleichstellt. Er zweifelt sogar an sich, und es soll bestimmt ein zentraler Punkt in diesem Thriller sein, dass Marcus einst genau das getan hat, was nun der Sheriff tut und was er nun so heftig ablehnt: Justiz außerhalb des rechtlichen Rahmens. Nur leider funktioniert das nicht. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Marcus hat ein Vergewaltigungsopfer vor sich und der Täter, der schon viele andere vorher vergewaltigt und ermordet hat, verhöhnt ihn, weil er Senator ist und bisher immer seine Spuren vertuscht wurden. Marcus tötet ihn und ist bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen. Er sieht, dass die Justiz hier blind ist, er reagiert emotional und aus einem menschlichen Instinkt heraus, und auch, wenn er nie wirklich Reue über sein Handeln empfinden konnte, so weiß er doch, dass er illegal gehandelt hat und dafür bestraft werden muss. Das ist die einzelne Entscheidung eines einzelnen Mannes, der seine moralische Urteilskraft genutzt hat und zu dem Schluss kam, dass er das Gesetz berechen muss. Etwas ganz anderes ist ein organisierter Ring von Polizisten und Justizbeamten, die mit eiskalter Rationalität der Meinung sind, sie stünden über dem Gesetz und hätten das Recht, über Leben und Tod zu urteilen. Dieser zentrale Dreh- und Angelpunkt der Geschichte funktioniert nicht, er ist plump und weil er nicht funktioniert, bricht die gesamte Geschichte in sich zusammen.

Auch alle anderen Figuren bleiben charakterlos. Entsprechend bleibt es für mich als Leser ohne jegliche emotionale Konsequenz, wenn der eine den anderen verrät. Ich bin unbeteiligter Beobachter. Viel zu viele Figuren sind so offensichtlich einfach nur da, damit der Plot weitergehen kann, dass es zunehmend langweilig wird. Niemand hat eine echte Verbindung zu irgendjemandem, alle tun stets nur das, was es braucht, um in der Geschichte voranzukommen. Das spiegelt sich leider auch in den Dialogen. Da die zwischenmenschlichen Beziehungen flach und die Figuren charakterlos bleiben, sind die Gespräche hölzern. Authentische Figuren haben immer ihre eigene Art zu sprechen. Es muss nicht auffällig anders sein, aber doch zumindest ein Hauch von Eigenheit. Nichts davon ist hier zu spüren. In einem Moment ist der Sheriff warm und verständnisvoll und wie ein Kumpel, dann redet er wie ein durchgedrehter, eiskalter Wahnsinniger und am Ende ist er der größte Anführer überhaupt. 

Zusätzlich werden vom Autor viel zu viele Klischees bedient. Die einfachen Polizisten, die nicht wissen, was los ist und keinerlei Chance gegen den Serienmörder oder sonst irgendjemanden haben. Die wehrlosen Opfer, die augenblicklich in Panik verfallen und weinen und betteln. Das eine Opfer, das den Täter berührt und ihn zum Nachdenken bringt, bei dem er sich sogar bedankt, dass sie mit ihm wie mit einem echten Menschen gesprochen habe. Der Held, der keine sozialen Bindungen hat und deswegen bereit ist, gleichzeitig sein Leben für alle zu riskieren und für immer woanders hin zu verschwinden und sich eine neue Identität zuzulegen. Das schöne Mädchen, das als starke Frau vorgestellt wird, dann aber doch immer nur gerettet werden muss. Nicht nur werden diese Tropes bedient, es finden sich auch unzählige Sätze, die so schon von anderen tausendmal genutzt worden sind, abgedroschen klingen und genau deswegen das Gegenteil von Spannung verursachen.

Ich hatte mich auf einen Serienmörder gefreut, der hochintelligent und absolut wahnsinnig ist, der mit seinen Opfern Spiele spielt, die mir die Nackenhaare zu Berge stehen lassen. Bekommen habe ich einen in Selbstmitleid versinkendes Kind in Erwachsenengestalt, das sogar nur eine Randfigur im eigentlichen Geschehen ist. Ich habe mich viel geärgert, viel gelangweilt und ich habe viel gelacht.

*Fazit:*
„Ich bin die Nacht“ von Ethan Cross ist der Auftakt zur mehrteiligen Shepherd-Reihe, in deren Mittelpunkt der ehemalige Polizist Marcus Williams steht. Was als Thriller über einen wahnsinnigen Serienmörder angepriesen wird, ist in der Realität einer eine Intrige innerhalb der Polizei. Die Figuren sind flach, der Plot unglaubwürdig und alle Wendungen so abstrus, das für mich zu keinem Zeitpunkt Spannung aufgekommen ist. Nichts in diesem Buch hat mir gefallen.