Rezension

Gute Idee - holprige Umsetzung

Flawed - Wie perfekt willst du sein?
von Cecelia Ahern

Bewertet mit 3 Sternen

Celestine steht hinter dem System, das in ihrem Land gilt. Menschen, die falsche Entscheidungen treffen, lügen oder betrügen, werden mit einem Brandmal versehen und leben fortan als Fehlerhafte ein einfaches Leben. Diese Menschen haben kein Verbrechen im eigentlichen Sinn begangen, doch moralisch oder ethisch haben sie sich etwas zu Schulde kommen lassen. Der oberste Richter der Gilde, Richter Crevan, ist für Celestine eine Art Ersatzvater, seit sie mit dessen Sohn zusammen ist. Doch dann kommen Celestines Überzeugungen ins Wanken und sie hilft einem Fehlerhaften im Bus. Auch das ist verboten und das junge Mädchen wird selbst vor Gericht gestellt. Doch ihr Prozess ist kein normales Gerichtsverfahren, denn Celestine wird als Aushängeschild für beide Seiten missbraucht. Und am Ende muss Celestine ihr komplettes Leben über den Haufen werfen.

Als bekannt wurde, dass Cecelia Ahern sich von ihren Liebesromanen etwas lösen will und sich um Jugendbuchgenre ausprobieren möchte, da war meine Neugierde geweckt. Als ich dann noch erfahren habe, dass es sich um eine Dystopie handeln sollte, da war ich Feuer und Flamme für die Geschichte. Und der Einstieg ins Buch konnte meine Erwartungen noch übertreffen. Endlich mal eine Protagonstin, die nicht von Anfang an gegen das herrschende System steht. Im Gegenteil: Celestine ist sich sicher, dass fehlerhafte Menschen auch als solche zu erkennen sein müssen. Die Gilde entscheidet über Menschen, die zwar kein Verbrechen begangen haben, aber sich moralisch oder ethisch in irgendeiner Hinsicht fehlerhaft verhalten haben. Diese Menschen bekommen ein Brandzeichen verpasst und müssen fortan ein einfaches, reduziertes Leben führen.

Natürlich musste Celestine irgendeinen Fehler machen, um selbst Opfer des Systems zu werden. Und das, obwohl der oberste Gildenrichter Crevan, kein Unbekannter für die Jugendliche ist. In Wahrheit handelt es sich bei ihm um ihren Schwiegervater in spe und ist außerdem ein Freund der Familie. Nachdem Celestine aber einem Fehlerhaften geholfen hat, verwandelt sich der liebevolle Nachbar in einen berechnenden, brutalen Gegenspieler.

Das Buch muss man eigentlich in zwei Teile spalten. Die erste Hälfte war spannend, rasant, voller Emotionen und unfassbar fesselnd. Celestine glaubt an das System, das praktiziert wird. Sie steht auf der Seite derjenigen, die Fehlerhafte kenntlich machen wollen, um die „normalen“ Menschen vor ihnen zu schützen. Doch Celestine ist ein wenig verwöhnt, kommt aus gutem Hause, geht mit dem attraktiven Nachbarjungen und führt auch sonst ein behütetes Leben.

Natürlich wusste man schon von Anfang an, dass Celestine, trotz all dieser Umstände, selbst zur Fehlerhaften abgestempelt wird. Und der Weg dorthin ist Ahern wirklich gelungen. Eigentlich beweist Celestine lediglich Mitgefühl und zeigt Zivilcourage, doch diese ist gegenüber Fehlerhaften verboten. Genau wie Celestine begreift man als Leser einfach nicht, warum einem alten Mann nicht geholfen werden soll, wenn er Hilfe scheinbar so nötig hat.

In der ersten Hälfte des Buches gibt es für den Leser kaum Verschnaufpausen. Die Ereignisse überschlagen sich und es geht Schlag auf Schlag. Damit konnte Ahern die Spannung unglaublich hoch halten. Dies hatte allerdings zur Folge, dass der Sturz in der zweiten Hälfte umso tiefer war.

Nachdem Celestine gebrandmarkt wurde und fortan als Fehlerhafte leben muss, rückt ihre Rolle in der ganzen Sache in den Fokus. Die Anhänger der Gilde wollten an ihr ein Exempel statuieren und empfinden sie als gefährlich. Die Gegner der Gilde sehen in Celestine allerdings jemanden, der sich endlich gegen die geltenden Regeln aufgelehnt hat. Dabei will der junge Mädchen einfach nur ihr altes Leben wieder haben.

Doch das sechste Brandmal, von dem bisher nur wenige Menschen wissen, macht sie auch zu einer Waffe. Diese könnte Crevans Fall zur Folge haben. Und nachdem Celestine ihre Wunden geleckt hat und wieder im Sattel sitzt, will auch sie endlich was in Bewegung bringen.

Leider macht die zweite Hälfte den Eindruck, als hätte die Story hart auf die Bremse gedrückt. Man kann noch nicht mal sagen, dass gar nichts mehr passiert. Aber das Tempo nimmt deutlich ab. Nachdem der erste Teil so spannend war, fällt das noch mehr auf, als es das vielleicht getan hätte, wenn die Geschichte einen konstanten Spannungsbogen gehabt hätte.

Mit der Protagonistin Celestine wusste ich lange Zeit nichts anzufangen. Anfangs hat ihr irgendwie genau der Umstand, den ich oben gelobt habe, nämlich, dass sie sich mit dem geltenden System identifiziert, das Genick gebrochen. Sie vertrat die Ansicht, dass die Fehlerhaften von den „normalen“ Menschen selektiert werden müssten. Ihre Vorurteile legte sie aber auch dann nicht ab, als sie verhaftet und in die Zellen gesperrt wurde. Als sie Carrick das erste Mal sieht, kann sie nur darüber nachdenken, welches Vergehen er wohl begangen hat und wie schlimm er wohl sein muss. Dass er gar nichts verbrochen haben könnte oder falls doch, dass er hierfür eventuell gute Gründe gehabt haben mag, kommt ihr gar nicht in den Sinn.

Diese Ansicht legt sie nur deshalb dann ab, weil sie plötzlich selbst in die Rolle des Opfers schlüpfen muss. Da ändert sich ihre Meinung dann radikal und sie sympathisiert eigentlich mit fast jedem Fehlerhaften. Nur leider versinkt sie zu diesem Zeitpunkt dann auch sehr im Selbstmitleid. Dass sie mit ihrem Schicksal unglücklich ist, konnte ich noch nachvollziehen, die Wut auf ihre kleinen Geschwister allerdings nicht mehr.

Das Ende überschlägt sich dafür wieder. Natürlich greift Cecelia Ahern zu einem Cliffhanger, der mich allerdings nicht dazu bewegen konnte, sofort in die nächste Buchhandlung zu stürmen und mir Teil 2 zu kaufen. Ich fühlte mich ehrlich etwas überrumpelt, dass das Buch SO ausging.

Mit ihrem Versuch, mal ein anderes Genre zu bedienen, hat Ahern keine Vollkatastrophe abgeliefert, konnte mich aber auch nicht begeistern. Hätte sich die erste Hälfte des Buches fortsetzen können, wäre dabei eine richtig gute Dystopie rausgekommen, die es mit der Konkurrenz hätte aufnehmen können. So schmiert Ahern aber ein wenig ab. Sie konnte die Spannung nicht halten und die zweite Hälfte plätschert einfach so vor sich hin, ohne nochmals den nötigen Schwung zu bekommen. Ein typischer Fall von: tolle Idee, holprige Umsetzung!

 

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