Rezension

Unterschwelliger Horror

Der Fluss - Deine letzte Hoffnung - Josh Malerman

Der Fluss - Deine letzte Hoffnung
von Josh Malerman

Bewertet mit 4 Sternen

Die Grundidee fand ich einfach großartig für ein Buch dieses Genres, denn sie sorgt direkt für einen ganz ursprünglichen, instinktiv verankerten Horror. Jedes Kind kennt sie, die Angst vorm Dunkeln, vor den Monstern, die in den Schatten lauern. Gibt es etwas Schlimmeres, als die Augen schließen zu müssen, wenn man in einer Extremsituation Todesangst hat? Sich blind einer Welt auszuliefern, in der etwas unsäglich Grauenhaftes lauert? Beim Lesen habe ich diese Angst auf jeder Seite gespürt, und das Buch hat mich dadurch unglaublich gefesselt.

Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht die junge Malorie, die schwanger war, als die ganze Welt die Augen schloss. Sie hat für sich und ihr ungeborenes Baby ein kleines Refugium gefunden: ein Haus, in der eine kleine Gruppe Überlebender Zuflucht suchen und sich gegenseitig Hilfe und Trost spenden.

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen: in der Gegenwart, in der Malorie darum kämpft, sich mit zwei Kleinkindern an einen sicheren Ort zu retten, und in der Vergangenheit, in der sie mit ihren Hausgenossen versucht, ein halbwegs erträgliches Leben aufzubauen. Deswegen erfährt man nur nach und nach, Stück für Stück, was eigentlich geschehen ist.

Das Verhältnis von Malorie zu den beiden Kindern zeigt vielleicht am besten, wie brutal und gefährlich die Welt geworden ist. Sie trainiert sie schon als Babys darauf, sich mit geschlossenen Augen zurecht zu finden und sich anhand von Geräuschen zu orientieren, und dieses Training wirkt oft geradezu grausam - aber dennoch ist es ein Akt der Liebe, denn nur so können die Kinder überleben. Bedrückend fand ich, dass Malorie ihre Gefühle komplett unterdrückt, um hart genug dafür zu sein. Sie zuckt zurück, wenn eines der Kinder sie berührt, und hat ihnen nicht einmal Namen gegeben...

Ich fand es schwer, zu den Kindern Zugang zu finden, denn sie zeigen nur wenig Persönlichkeit und funktionieren wie kleine Roboter, die blind gehorchen - was allerdings bei der Art und Weise, wie sie aufwachsen, nur realistisch ist.

Auch zu den anderen Charakteren spürte ich meist eine gewisse Distanz. Es ist aber nicht so, als wären sie in meinen Augen schlecht geschrieben! Ich bekam sogar schnell ein Gefühl dafür, wie sie denken und was sie antreibt, aber durch die Extremsituation kann sich niemand Emotionen leisten und das macht es auch schwer, mit ihnen mitzufühlen.

Der Charakter, der sich am meisten seiner Menschlichkeit bewahrt und dadurch für mich zur Identifikationsfigur wurde, ist Tom. Tom, der Problemlöser, der Rettungsanker, an den sich alle klammern. Er hält die kleine Gemeinschaft von Überlebenden zusammen, bastelt ständig an neuen Erfindungen, wie das Leben im Dunkeln erleichtern sollen, und wagt scheinbar Unmögliches, wie etwa blind drei Meilen zu seinem alten Haus und zurück zu laufen.

Interessant fand ich auch Gary, der seine ganz eigenen Theorien hat, was die Kreaturen betrifft, die die Menscheit in den Wahnsinn treiben... Durch ihn stellen sich Fragen wie: was ist Wahnsinn überhaupt, und ist es nicht der Mensch, den der Mensch am meisten fürchtet?

Das Buch ist in der Gegenwartsform geschrieben , und den Schreibstil fand ich grandios. Mal hat er eine atemlose Dringlichkeit, dann wieder etwas beinahe Lyrisches, Hypnotisches.  Meist ist reduziert auf die Essenz einer Szene und dadurch sehr exakt, sehr klar. 

Als ich das Buch zuschlug, war ich begeistert. Erst als ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, ging mir auf, dass das Ende für mich unbefriedigend ist. Die wichtigsten Dinge bleiben einfach ungesagt, und man verlässt die Geschichte mit mehr ungeklärten als geklärten Fragen.

Allerdings ist das vielleicht auch ganz bewusst, schließlich besteht der Horror in diesem Buch darin, dass der Mensch sich blind in einer Welt bewegt, die er nicht mehr versteht?