Rezension

Verstörend, unbequem und wichtig

All das zu verlieren - Leïla Slimani

All das zu verlieren
von Leila Slimani

Bewertet mit 4 Sternen

Adèle hat eigentlich das perfekte Leben: sie lebt mit ihrem Mann, der erfolgreicher Arzt ist und ihrem kleinen Sohn in einem guten Viertel in Paris. Sie selbst ist Journalistin bei einer großen Pariser Tageszeitung. Ihr Mann kümmert sich liebevoll um sie und ihren Sohn, macht ihr teure Geschenke und Reisen. All das reicht Adèle nicht. Sie langweilt sich und sucht das Abenteuer und den Kick in Alkohol, Drogen und besonders in Sex mit anderen Männern.

Adèle steht buchstäblich am Abgrund, sie versucht, ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter gerecht zu werden, aber auch ihr Leben im Rausch mit Alkohol, Drogen und dem Sex mit anderen Männern aufrecht zu erhalten. Man wird nicht so wirklich warm mit ihr, vielleicht auch deshalb, weil ihr Leben sich von den meisten der Leser so sehr unterscheidet. Ich wurde in Adèles Strudel mitgerissen aus verschiedensten Emotionen: ihrer Zerrissenheit, ihrer Sucht und ihrer Verzweiflung. Als Leser ist man abgestoßen von ihrer Stumpfheit und Sucht, andererseits auch fasziniert, weil es eben so verstörend und unbequem ist. Man verzweifelt regelrecht mit, weil man Adèle gerne schütteln möchte, dass der Sex und die Körperlichkeit eben nicht reichen und ihren Hunger auf mehr stillen werden. Manche Passagen kann man beim Lesen kaum aushalten und ich musste das Buch auch ein paar Mal beiseite legen, weil es verstörend war.
Das Buch ist im ersten Teil aus Adèles Sicht geschrieben, was einen als Leser noch mal mehr abholt und in ihr Leben zieht. Da das Buch keine richtigen Kapitel hat, war es mitunter ein bisschen holprig zu lesen. Der zweite Teil steht dann im Kontrast dazu, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Das Ende konnte mich leider nicht wirklich überzeugen, weil es offen ist und zu viel Spielraum für Interpretationen lässt.

Vom Klappentext her hätte ich eine andere Geschichte erwartet. Für mich war es überraschend, dass es vorrangig um Adèles Nymphomanie geht, ein wichtiges Thema, von dem ich so noch kein Buch gelesen habe. "All das zu verlieren" ist kein einfaches Buch, nichts zum "Mal-eben-Lesen" oder für zwischendurch. Es hallt nach und lässt den Leser nachdenklich zurück, aber gerade da liegt der Reiz, es trotzdem nicht zur Seite zu legen.

Von mir eine Leseempfehlung für alle, die kein einfaches Buch suchen und gerne von menschlichen Abgründen lesen.