Rezension

Ein Auftakt mit viel Potenzial!

Artikel 5 - Kristen Simmons

Artikel 5
von Kristen Simmons

*Worum geht's?*
Die siebzehnjährige Ember lebt mit ihrer Mutter ein zurückhaltendes und ruhiges Leben. Sie dürfen auf keinen Fall auffallen, denn sie verstoßen mehrfach gegen die strengen Regeln und Gesetze von Amerika - und ihr schlimmstes Verbrechen ist Ember selbst. Da ihre Mutter nicht mit ihrem Vater verheiratet war, als Ember geboren wurde, verstoßen sie gegen Artikel 5 der Moralstatuten. Als sie eines Tages unerwartet von der Moralmiliz kontrolliert werden, gibt es für die kleine Familie kein Entrinnen mehr. Während ihre Mutter gefangen genommen wird, wird Ember als Staatseigentum in eine Besserungsanstalt für Mädchen geschickt. Sie muss fliehen und ihre Mutter retten, koste es, was es wolle! Doch dafür braucht sie die Hilfe des Jungen, in den sie seit Jahren verliebt ist - und der sie hinterrücks verraten hat: Chase.

*Kaufgrund:*
Als eingefleischter Dystopie-Fan durfte ich mir - besonders nach den vielen positiven Meinungen lieber BloggerkollegInnen - "Artikel 5" natürlich nicht entgehen lassen!

*Meine Meinung:*
"Artikel 5", der Auftakt einer neuen Dystopie-Trilogie, beginnt rasant und voller Action. Ohne große Erklärungen wird man in das Geschehen geworfen, mitten hinein in eine fremde Zukunftsvorstellung, in der man sich von Anfang an nicht wohl fühlt. Dadurch entsteht bereits auf den ersten Seiten eine große Spannung, die sich über den gesamten Roman halten kann und nur ab und an für ein paar ruhigere Momente unterbrochen wird.

Nur weil ein Buch gut beginnt, bleibt es das nicht zwangsläufig auch. "Artikel 5" konnte mich mit der zu gewollten Tragik am Ende leider nur enttäuschen: Die große Enthüllung, die der Geschichte eine dramatische Wendung verleihen und das gewisse Etwas verleihen soll, ist extrem vorhersehbar! Man kann sie schon nach dem ersten Viertel des Buches erahnen, was ihr bedauerlicherweise den Wind aus den Flügeln nimmt. Dabei hätte die Idee viel mehr Potenzial gehabt...

Kristen Simmons erfindet das Genre nicht neu, nutzt viele altbekannte Elemente jedoch gut und schafft eine Welt, in die man gut abtauchen kann. In ihrem Amerika der Zukunft gelten strenge Regeln, die unter anderem die Lebensweisen der Menschen extrem einengt. Nach Sperrstunde darf niemand das Haus verlassen, das Lesen von Büchern ist verboten und welche Familie nicht dem klassischen Idealbild entspricht, wird einfach aus dem Verkehr gezogen. Unehelichen Kindern wie Ember wird sogar die Staatsangehörigkeit aberkannt; sie werden zu Staatseigentum. Mit diesen Elementen kann die Autorin durchaus überzeugen. Als Dystopie-Fan kommt man auf jeden Fall auf seine Kosten.

Leider bleibt die gesamte Zukunftsvorstellung im Großen und Ganzen sehr blass. Während man vom Rest der Welt überhaupt nichts erfährt, bleibt das Amerika der Zukunft nur ein vages Konstrukt. Kristen Simmons wirft immer wieder Informationshäppchen in die Geschichte ein, die den Wissenshunger eines jeden Lesers weckt, belässt es dann jedoch dabei statt ein überzeugendes Festmahl herzurichten. Es wird von Kriegen gesprochen, von einem grausamen Regime, von unzumutbaren Regeln und Auflagen, aber was genau dahinter steckt, erfährt man leider nur bruchstückhaft. Im Grunde beschränken sich die Informationen auf die Moralstatuten, die Artikel, gegen die die Bücher nicht verstoßen dürfen.

Ember ist eine tolle Protagonistin und Erzählerin, mit der nicht erst warm werden muss, um sie zu mögen. Mit ihrem liebenswerten Charakter und ihrer rebellischen und mutigen Ader, die sich im Verlauf der Geschichte immer stärker zeigt, konnte mich Ember schnell als Fan gewinnen. Sie trägt das Herz am rechten Fleck und würde alles für die Menschen tun, die sie liebt, doch dabei stößt auch Ember an ihre physischen und psychischen Grenzen - etwas, was sie noch sympathischer macht.

Chase ist ein komplexer Charakter, dem man von Anfang an nicht recht über den Weg traut. Kein Wunder, denn er hütet einige Geheimnisse und dunkle Erinnerungen, die aus ihm einen ganz anderen Menschen gemacht haben. Nichtsdestotrotz ist es genau diese düstere Art, die Chase schon bei seinem ersten Auftritt so interessant macht. Im Verlauf der Geschichte verrät Simmons stetig neue Dinge über Chase und sein Leben und enthüllt damit Dinge, die ihn mehr und mehr sympathischer machen.

Kristen Simmons konzentriert sich im ersten Teil ihrer Trilogie auf das Protagonistenpärchen Ember und Chase und lässt die wenigen Nebencharaktere sehr blass und oberflächlich zurück. Obwohl dort einige Figuren dabei sind, über die man gerne mehr erfahren möchte, behält man die skizzenhaften Charaktere nicht als Kritikpunkt in Erinnerung. Die Handlung des ersten Teils gibt es schlichtweg nicht her, dass man sich über mehrere Seiten mit anderen Personen als Ember und Chase auseinandersetzen kann. Die letzten Seiten lassen jedoch vermuten, dass Kristen Simmons dies im Folgeband ändern wird.

So gern ich Ember und Chase auch mag und so viel Spaß ich auch dabei hatte, sie auf ihrem Abenteuer zu begleiten, sie haben mich nicht völlig kritiklos zurückgelassen. Schuld daran ist die für Jugendbücher obligatorische Liebesgeschichte oder vielmehr ihre Entwicklung, die auf mich einen zu gestellten Eindruck gemacht hat. Statt für Herzklopfen und schwache Knie zu sorgen, lassen einen die Gefühle zwischen Ember und Chase zunächst kalt. Es ist ein ewiges Hin und Her, das sich viel zu stark in die Länge zieht und durch ein einziges klärendes Gespräch schon viel früher aus der Welt hätte geschafft werden können - und das hätte der Geschichte mehr als gut getan. Denn die wenigen romantischen Szenen, die man zwischen Ember und Chase genießen darf, wissen zu gefallen!

Kristen Simmons Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. In ihren Debüt zeigt sie bereits deutlich, welches Talent in ihr steckt. Sie schreibt flüssig und leicht, sodass einem die Seiten weg zu fliegen scheinen, aber mit einem gewissen Niveau, das für Aufregung und Spannung sorgt und einen unerbittlich in einen Lesefluss zieht, aus dem man sich nur schlecht befreien kann.

*Cover:*
Das Cover gefällt mir ganz gut, auch wenn ich nicht genau erklären kann, wieso das eigentlich so ist. Die Effekte treffen ebenso wenig wie das Gesicht meinen Geschmack, aber das Gesamtbild passt auf eine sonderbare Weise einfach super zur Atmosphäre des Romans.

*Fazit:*
"Artikel 5" von Kristen Simmons ist ein solider Trilogie-Auftakt, der mitreißen und für einige tolle Lesestunden sorgen, jedoch nicht vollends begeistern kann. Die Autorin bietet tolle Ansätze, nutzt allerdings nur wenige von ihnen für die Geschichte tatsächlich aus. Alles, was einen positiv überraschen kann, zieht leider auch eine kleine Enttäuschung mit sich. Nichtsdestotrotz gibt es für diesen Roman eine Leseempfehlung, denn in dieser Dystopie-Trilogie schlummert viel Potenzial! Für "Artikel 5" vergebe ich gute 3 Sterne!