Rezension

Melancholisch und poetisch

Lied der Weite - Kent Haruf

Lied der Weite
von Kent Haruf

Bewertet mit 4 Sternen

Als die siebzehnjährige, schwangere Victoria Roubideaux von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt wird, nimmt sie ihre Lehrerin Maggie Jones zunächst bei sich auf. Doch Maggie hat auch ihren demenzkranken Vater zu pflegen, und so überredet sie die beiden alten Brüder McPheron, Victoria auf ihrer Farm aufzunehmen. Für die beiden über Siebzigjährigen eine echte Herausforderung, haben sie doch immer nur zusammen, ohne Frau im Haushalt gelebt und kennen sich auch besser mit Vieh als mit Menschen aus.

Der leider 2014 verstorbene Autor Kent Haruf erzählt geradlinig, unprätentiös, fast schon sachlich. Doch hinter dem scheinbar einfachen Erzählstil offenbart sich eine ganz eigene Poesie. Die Menschen in Kent Harufs Roman wirken oft einsam, melancholisch. Dennoch funkeln immer wieder hoffnungsfrohe und komische Momente auf.

Herzzerreißend, gerade durch die nüchterne Sachlichkeit, wirkt z.B. der Moment, als Victoria nach der Schule nach Hause kommt und ihre Mutter ihr einfach die Tür nicht mehr öffnet. Großartig dagegen der Moment, als die Brüder McPheron mit dem schwangeren Mädchen über Getreide und Schweinebäuche sprechen, nur um Konversation zu betreiben und ihr – auf ihre Art - Geborgenheit zu vermitteln.

Tom Guthrie, Lehrerkollege von Maggie Jones, lebt allein mit seinen zwei Söhnen, nachdem die schwer depressive Mutter die Familie verlassen hat. Ergreifend wird in kleinen Szenen geschildert, wie die beiden neun- und zehnjährigen Jungen mit diesem Verlassenwerden umgehen. Während Maggie Jones und Tom Guthrie sich näher kommen, lernt Victoria behutsam, ihren eigenen Weg zu gehen.

Die kurzen, episodenhaften Kapitel, die jeweils andere Figuren ins Zentrum rücken, wirken wie Ausschnitte aus einem Mosaik, das erst nach und nach zu einem bedeutsamen Ganzen zusammenwächst. Ein stiller, oft traurig-melancholischer Roman, der bewegend und poetisch von Menschlichkeit, Güte, Freundschaft und Liebe erzählt.