Rezension

Da weiß jemand, wie man Geschichten macht

In der Finsternis - Sandrone Dazieri

In der Finsternis
von Sandrone Dazieri

Bei diesem Buch hatte ich mich vorab auf eine etwas sperrigere Lektüre eingestellt. Und sperrig meine ich jetzt nicht in einem negativen Kontext, sondern mehr im Sinne von ein bisschen weniger "geschenkt" als so manch andere Geschichte. Umso überraschter war ich, als sich dieser Thriller als erstaunlich "handsome" herausstellte, ganz pflegeleicht, sehr gefällig, richtig spannend und gar nicht sperrig.

Der Autor Sandrone Dazieri versteht aber auch einfach sein Handwerk, er zählt in seiner Heimat Italien zu den wichtigsten Drehbuchautoren und ist in einem großen italienischen Verlag Lektor und Programmleiter für Kriminalromane. Ein Mann also, der vermutlich weiß, was gute Geschichten brauchen. Und wenn man die Rezeptur kennt und gleichzeitig ein Gespür dafür hat, welche Zutaten man variieren, welche kombinieren und welche man weglassen kann, dann kommt am Ende etwas feines Neues dabei heraus, obwohl es doch aus Altbekanntem besteht. Dieses Gespür, gängige Thriller-Elemente geschickt zu kombinieren und zu variieren, das hat Sandrone Dazieri.

"In der Finsternis" startet erstmal ganz klassisch mit einer Leiche. Während eines Picknicks hält ein Familienvater ein kleines Nickerchen, als er aufwacht, sind seine Frau und sein Sohn verschwunden. Der Sohn bleibt auch verschwunden, die Ehefrau wird weniger später gefunden, allerdings in einem recht unglücklichen Zustand, ihr wurde der Kopf abgetrennt. Schnell gilt der Ehemann als Hauptverdächtiger, weitere Spuren werden von der zuständigen Polizei gar nicht weiter verfolgt. Allerdings wittert der erfahrene Ermittler Rovere, dass mehr hinter diesem Mord und dem entführten Kind steckt und schickt unter der Hand Colomba Caselli in die Spur. Die ist nach einem traumatischen Vorfall im Dienst eigentlich arbeitsuntauglich, kann ihrem Mentor aber die Bitte nicht abschlagen, ein paar Nachforschungen anzustellen.

Und hier bahnt es sich schon an, die Ermittlungen in diesem Thriller laufen nicht nach den üblichen Regeln der Kunst ab. Das liegt nicht zuletzt auch an Dante Torre, der Caselli zur Seite gestellt wird. Als Berater für Vermissten- und Entführungsfälle hat er eine Qualifikation vorzuweisen, die ihn wie keinen anderen für diese Arbeit befähigt: Als Kind wurde Dante selbst entführt, elf Jahre lang wurde er gefangen gehalten und konnte nur durch einen Zufall entkommen. Als Erwachsener lebt er nun mit den psychischen Schäden, hat als Romanfigur aber mehr zu bieten als die in diesen Fällen gern gezeichnete gebrochene Persönlichkeit. Dante Torre ist eigentlich ein cooler Typ, das muss man so sagen. Er wäre vielleicht ein Exzentriker geworden, wäre er nicht tief in seinem Innern so verschlossen. Ein bisschen sieht er aus wie David Bowie, so beschreibt ihn Caselli. Und er versucht, die Schäden, die seine Psyche durch die jahrelange Gefangenschaft genommen hat, mit trockenem Humor zu ertragen, der Autor lässt den Leser durch kleine Sequenzen immer wieder erahnen, wie viel Kraft das kosten mag und formt damit Dante zu einer interessanten und beeindruckenden Persönlichkeit, weder besonders stark noch besonders schwach, sondern einfach genau so kaputt und genau so liebenswert, wie man eben sein kann, wenn man elf Jahre lang in einem Getreidesilo gefangen gehalten wurde.

Dass nun auch die junge Ermittlerin Colomba Caselli mit einem psychischen wie physischen Trauma zu kämpfen hat, könnte zunächst ermüdend auf den Leser wirken, lauter kaputte Gestalten, die mit ihren Macken die Story auffüllen. Aber so ist das hier nicht. Caselli und Torre werden zu einem Ermittlerteam, das sich richtig gut macht! Die persönlichen Befindlichkeiten der Figuren baut der Autor in einem ausgewogenen Maße ein, sie sind gerade bei Dante Torre natürlich elementar für den Verlauf der Geschichte, laufen dem Plot selbst aber nicht den Rang ab. Vielmehr machen sie den Reiz aus, mit dem man dann auch die ein oder andere Länge gut überstehen kann. Denn die Geschichte nimmt wirklich opulente Ausmaße an, die Verstrickungen reichen weit, ja selbst die kleinen Verschwörungstheoriefantasten unter den Thriller-Lesern kommen auf ihre Kosten.

Ich für meinen Teil würde gern mehr von Sandrone Dazieri lesen, in Italien sind bereits etliche Krimis des Autors erschienen. Leider reicht dafür mein Italienisch nicht aus, also liebe Verlage, mehr Dazieri in deutscher Übersetzung bitte! :)

Fazit:

Gewusst wie! Hier greift der kluge Spruch, Kunst kommt von können und nicht von wollen, der Autor versteht sein Handwerk und setzt seine jahrelange Genreerfahrung gewinnbringend ein. So kommt ein Thriller zustande, der von vorne bis hinten funktioniert, der unterhält und der sehr dynamisch erzählt wird, mit rasanten, aber auch mit ruhigen Momenten. Und am Ende staunt man, wie aus den eigentlich doch ganz bekannten Zutaten so ein wohlfeiner Thriller entstanden ist. So kann Thriller eben auch, ja fast vorbildlich! ;)

Bewertung:
Stil: 4/5 | Idee: 5/5 | Umsetzung: 4/5 | Figuren: 5/5 | Plot-Entwicklung: 4/5 |
Tempo: 3/5 | Tiefe: 4/5 | Komplexität: 5/5 | Lesespaß: 4/5

Rezension von WortGestalt
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