Rezension

Eine Sensation in Fragmenten

Der Sprung
von Simone Lappert

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt: 

Thalbach, eine Kleinstadt irgendwo in Baden-Württemberg:

Enge Gassen, Fachwerkhäuser, Idylle, Langeweile.

Eine junge Frau steht eines morgens auf dem Dach eines Mehrfamilienhauses und droht herunterzuspringen. Eine Nachbarin ruft die Polizei und diese rückt mit Großaufgebot an. Ihr folgen die Feuerwehr, die Presse und eine Horde Schaulustige. 

In „Der Sprung“ von Simone Lappert geht es in erster Linie nicht um die Frau auf dem Dach, sondern um die Leute, die zu ihr hinaufsehen. Um ihre Biographien, oder wenigstens ein paar Schnipsel davon. Oder vielleicht geht es auch doch um die Frau auf dem Dach und ihre Geschichte, die sich fragmentartig in den Leben der anderen wiederfindet.

Meine Meinung:

Ich liebe Geschichten, die aus vielen unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden, deshalb wollte ich „Der Sprung“ auch schon so lange lesen. Tatsächlich ist das Buch in Wirklichkeit ganz anders, als ich es ursprünglich angenommen hatte. Besser anders.

Man könnte meinen, man hat es hier mit einer schweren, düsteren Geschichte zu tun, immerhin ist das zentrale Thema ein versuchter Suizid. Aber das stimmt nicht. In Thalbach ist es Sommer und im Text auch. Es ist eine melancholische, von Erinnerungen an vergangene Jahre geschwängerte Art von Sommer, aber auch ein heller, hoffnungsvoller Sommer. Beides trifft auch auf das Buch zu. 

Die Protagonist*innen, die in der Geschichte zu Wort kommen, sind allesamt Kleinstädter, die irgendwie feststecken in dieser Idylle. Manche von ihnen stehen in enger Verbindung mit der Frau auf dem Dach, andere eher in loser. Aber sie alle beeinflussen sie oder werden von ihr beeinflusst. Vor allem aber nehmen sie die Situation auf dem Dach ganz unterschiedlich war. Diese Situation, die sich immer mehr zu einem Event für Voyeuristen entwickelt. 

Ich habe darüber nachgedacht, ob eine ähnliche Szene in der Wirklichkeit entstehen könnte.

Wahrscheinlich nein und wahrscheinlich ja. Je nach dem, ob man die Menschen lassen würde. Vielleicht ist die Geschichte in Ansätzen überzeichnet, ich finde aber dennoch, dass sie eine der schlechtesten menschlichen Eigenschaften ganz eindrucksvoll darstellt.

Die Handlungstragenden sind in meinen Augen sehr spannend besetzt worden. Ich habe all ihre Schicksale gerne gelesen und obwohl jeder einzelne von ihnen nicht oft zu Wort kommt, erhält man doch in den kurzen Kapiteln einen tiefreichenden Blick auf ihre Oberflächen und in ihre Abgründe. 

Inhaltlich will ich nicht zu viel verraten, nur dass sich „Der Sprung“ in eine völlig andere Richtung entwickelt hat, als ich anfangs dachte. Die Autorin hat hierfür einen Kniff angewendet, den ich unglaublich spannend und raffiniert finde. Ich glaube, letztendlich geht es in diesem Buch darum, die Kleingeistigkeit der Leute zu entlarven. Darum, wie schnell sich Schubladenstecker gerne gegenseitig in Schubladenstecken. Am Ende gibt es eben doch immer eine Geschichte hinter der Geschichte. Oder sogar viele Geschichten.

„Der Sprung“ von Simone Lappert hat übrigens nicht nur ein Ende, sondern viele Enden, weil jede der Figuren ihr eigenes bekommt. Meiner Meinung nach ist jedes einzelne davon sehr gelungen gewesen.

Fazit:

„Der Sprung“ ist ein Buch über das Leben und den Alltag. Darüber, was passiert, wenn dieses Leben, dieser Alltag, durch ein unerwartetes Ereignis aufgebrochen wird. Das, was dann passiert, davon handelt diese Geschichte. Ich fand’s wirklich klasse! Eine ganz klare und große Leseempfehlung also für dieses eigenwillige und einzigartige Buch, seine individuellen und fein konzipierten Charaktere und seine spannende Handlung.