Rezension

Ganz anders als erwartet

Die Bestimmung 02 - Tödliche Wahrheit - Veronica Roth

Die Bestimmung 02 - Tödliche Wahrheit
von Veronica Roth

Bewertet mit 4 Sternen

Ich habe seinerzeit Divergent gelesen, das englische Original von “Die Bestimmung”. Ich war so begeistert (nicht nur, dass ich auf Englisch alles verstanden habe), dass ich der Fortsetzung entgegengefiebert habe. Zwischenzeitlich feierte der Trilogieauftakt jedoch auch hier in Deutschland seine Erfolge und ich entschloss mich, die Fortsetzung auf Deutsch weiter zu lesen. Glücklicherweise durfte ich das Buch vor Erscheinen bekommen. Auch, wenn ich verwirrt aus dieser Geschichte gegangen bin, möchte ich eine absolute Leseempfehlung aussprechen.

Tris, Tobias(Four) und die überlebenden Altruan finden zunächst Zuflucht bei den Amite. Diese wollen sich jedoch weiter aus dem Konflikt der Fraktionen heraushalten. Als nach einer kurzen Verschnaufpause die Ken mit Überläufern der Ferox in ihren Lastwagen anrollen, müssen Tris und Co. das Weite suchen und die Amite verlassen. Ihr Weg führt sie zurück in die Stadt zu den Fraktionslosen. Jene, die Tris bisher gefürchtet hat entpuppen sich als ganz andere Menschen. Außerdem treffen sie dort auf Personen, von denen Tris und Tobias dachten, sie nie wieder zu sehen. Es geht aber noch weiter, zu den Candor und die “Unbestimmten” bekommen plötzlich eine wichtige Rolle. Jeanine Matthew, die Anführerin der Ken will die Macht an sich bringen und auch ein Serum finden, gegen das die “Unbestimmten” nicht immun sind. Sie macht Jagd auf sie, doch was steckt hinter allem? Welche Wahrheit verbergen die Anführer der Fraktionen und kann das System gerettet werden?

Erster Satz: Als ich aufwache, liegt mir sein Name auf der Zunge.

Idee: Die Grundidee der Fraktionen hat mich schon in Teil 1 überzeugt. Leider wurden die Bezeichnungen des Originals nicht übernommen. Ich muss an dieser Stelle mal anmerken, dass ich so was oft nicht verstehe. Unsere Sprache hat so viele Anglizismen, da hätte man die Bezeichnung der Fraktionen lassen können. Four hat man ja auch nicht mit Vier übersetzt. An Teil 2 fand ich besonders gut, dass Frau Roth den Leser einmal quer durch die Fraktionen schickt, sodass diese viel präsenter sind.

Plot: Der Plot hat mich verwirrt zurückgelassen. Es passieren so viele Dinge und es gibt so viele Schauplätze. Stellenweise habe ich mich gefragt, ob das Ganze ursprünglich als Trilogie ausgelegt war. Ein bisschen hatte ich das Gefühl, als suche Frau Roth selbst nach dem Ziel der Geschichte. Sehr gut gefallen hat mir das Kennenlernen der anderen Hauptquartiere. All die Fragen, die im ersten Band unbeantwortet blieben, weil sich alles so sehr auf die Ferox konzentriert hat, wurden beantwortet. Die Fraktionen mit ihren Eigenheiten kamen sehr gut rüber, obwohl mich die Handlung des Buches verwirrt hat und ich hier und da das Gefühl hatte etwas nicht mitbekommen zu haben. Immer wieder streut Veronica Roth Bemerkungen ein, die mich wieder an Teil 1 erinnern ließen. Leider wird man zu Anfang jedoch sehr selbstverständlich in die Geschichte geworfen. Eigentlich ja positiv, dass man nahtlos weiterlesen könnte, denn Teil 2 geht genau da weiter, wo Teil 1 aufhört. Ein Re-Read von Teil 1 wäre nicht schlecht gewesen, ist aber kein Muss. Das Ende war überraschend. Den die Hinweise dazu sind nur spärlich und es wirkte ein wenig “aus dem Hut gezaubert”.  Keine schlechte Idee, keinesfalls, aber zu überraschend, ein wenig zu konstruiert auf den letzten Seiten. Dazu ein gemeiner Cliffhanger, der einen das Warten auf Teil 3 sehr schwer macht. Auch wenn ich nicht das Gefühl habe die Geschichte ganz gefasst zu haben, hat sie mich mitgerissen. Der Drang es gleich noch mal zu lesen, lässt mich nicht los.

Schreibstil: Erzählt wird als Ich-Erzähler aus Tris’ Sicht im Präsens. Allein für die intimen Momente zwischen Tris und Tobias lohnt sich das Buch. Diese Stellen sind so toll geschrieben, dass man die Berührungen förmlich spürt. Aber nicht nur dort erweist sich Frau Roth als talentiert. Das beklemmende Gefühl, was Tris mit sich herumträgt, fühlt man selbst. Das, was ich im Englischen schon so mochte, ist im Deutschen genau so da. Ich mag so einen Stil, der einen alles vor Augen führt. Der einen entführt in eine Welt der Gefühle. Angst, Liebe und Drama. Alles sehr präsent.

Charaktere: Ja wo soll man da anfangen und aufhören? Schaut man sich auf der Fanseite die Charakterliste an, versteht man glaube ich mein Problem. Zu viele Charaktere. Auf der einen Seite finde ich das realistisch, wenn man bedenkt, dass man im richtigen Leben auch von mehreren Menschen umgeben und beeinflusst wird. Zum verfolgen der Geschichte ist es natürlich schwierig. Vor allem tauchen die Figuren so selbstverständlich auf. Sicher kennt man sie aus dem ersten Teil, aber nicht so sehr, um gleich wieder alles abrufen zu können. Allerdings haben mir die Hauptcharaktere besonders gefallen.

Tris hat sich zur Ferox entwickelt. Allerdings hat sie mit einigem zu kämpfen. Der Tod der Eltern, Wills Tod und die Zerstörung des Systems. Sie kann keine Waffe mehr anfassen, was für eine Ferox natürlich undenkbar ist. Sie liebt Tobias, kann sich ihm aber nicht anvertrauen. Da habe ich sie manchmal nicht verstanden. Andererseits kann man ihren Mut und ihre Aufopferung nachvollziehen. Sehr gut merkt man auch, welche Fraktion gerade aus ihr spricht, wenn sie über Dinge und Situationen nachdenkt. Das hat die Autorin ganz toll gemacht.

Tobias/Four. Hach. Ja, ein Charakter, für den ich dahinschmelze. Der mir auch leid tut, weil er sich so sehr um Tris sorgt. Er ist stark und doch sanft. Im Grunde fehlen mir bei ihm die Worte. Für meinen Geschmack kommt er in der zweiten Hälfte ein wenig zu kurz. Sicher ist es gut die Geschichte nicht die Liebesgeschichte dominieren zu lassen, aber ich würde gerne noch mehr über ihn lesen. Dennoch erfährt man sehr viel über ihn, wo er herkommt und was in ihm hervorgeht. Er muss sich seinem Vater stellen, was er auch macht. Er ist intelligent und clever, zumindest die meiste Zeit.  Gut gefallen hat mir, dass er in diesem Buch fast nur noch als Tobias auftritt. Ich habe zwar persönlich mein Problem mit dem Namen, aber es macht seine Entwicklung deutlich. Das “Four” habe ich schon etwas vermisst, aber es passt nicht mehr so perfekt in seine Rolle, wenn man seinen Hintergrund kennt.

Hintergrund: Das Fraktionssystem ist super ausgedacht, keine Frage. Trotz allem muss ich Kritik üben. Die Geschichte fokussiert sich im ersten Teil sehr auf das Feroxhauptquartier, was auch so in Ordnung ist. Im 2. Teil verlassen wir jedoch dies und da frag ich mich: Wo sind die ganz normalen Bürger? Wo leben sie? Wie läuft die gesamte Versorgung? Da scheint Veronica Roth nicht weit genug gedacht zu haben. Es leben doch nicht alle Bewohner immer in den Hauptquartieren, oder? Ich bin gespannt, ob man davon in Teil 3 noch mehr erfährt. Soweit es für die Geschichte von Belang ist, wird alles gut erklärt und gezeigt aber es fehlt ein bisschen das “Drumherum”.

Fazit: Mich hat dieses Buch verwirrt. Es war ganz anders als erwartet. Es gibt so viel, was passiert ist und so viel, was einen grübeln lässt. Da gibt es ordentlich Diskussionsstoff. Das merkt man schon jetzt unter den Bloggern, die es wie ich vorab lesen durften. Keiner, der Teil 1 schon mochte, wird enttäuscht sein. Auch wenn man Tris des Öfteren gerne beiseite genommen hätte, um ihr zu sagen, dass sie doch mal einen Moment nachdenken soll. Es ist eine tolle verwirrende Fortsetzung mit einem unerwarteten Ende. Mit dem bin ich nicht ganz so zufrieden, weil es mir eben zu plötzlich kam, deshalb keine volle Punktzahl.