Rezension

Rechts und links der Grenze

Kaiserstuhl -

Kaiserstuhl
von Brigitte Glaser

Bewertet mit 5 Sternen

Brigitte Glaser ist in Südbaden verwurzelt, und so ist es nicht überraschend, dass sie sich in ihrem neuen Roman „Kaiserstuhl“ die jüngere Geschichte dieser Region genauer anschaut, von der es nur ein Katzensprung auf die französische Seite ist.

Das benachbarte Elsass hat eine wechselhafte Geschichte, war schon immer ein Spielball der Mächte, mal zu Frankreich, mal zu Deutschland gehörend. Im Zweiten Weltkrieg annektieren die Nationalsozialisten 1940 das Elsass und schließen es mit Baden zusammen. Widerstand auf französischer Seite ist kaum auszumachen, es gibt nur wenige Resistance-Gruppen, die auch noch gnadenlos verfolgt und zerschlagen werden. Erst 1944 wird das Elsass unter Mitwirkung der Alliierten zurückerobert und fühlt sich auch seither Frankreich zugehörig.

1959 wird Charles de Gaulle Präsident der Republik. Während seiner Amtszeit setzt er alles daran, die Aussöhnung von Deutschland und Frankreich voranzutreiben und diese durch einen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag (= Élysée-Vertrag, im Januar 1963 von de Gaulle und Adenauer unterzeichnet) zu besiegeln.

Zur Feier dieses historischen Ereignisses soll nach erfolgter Unterzeichnung mit einem 1937er Champagner mit einer ganz speziellen Geschichte angestoßen werden, von dem es nur noch eine Flasche gibt. Diese ist jedoch verschwunden, und hier verbindet sich die große Weltpolitik mit dem Schicksal der Freiburger Weinhändlerin Henny und dem elsässischen Cineasten Paul, ihrem sitzengelassenen Ex-Verlobten, der damit beauftragt wird, diesen Champagner aufzuspüren. Aber es gibt noch andere „Interessenten“ mit weniger hehren Motiven, mit denen sie sich herumschlagen müssen, denn offenbar birgt die Flasche ein brisantes Geheimnis.

Aber natürlich agieren die beiden auf der Suche nach dem edlen Tropfen nicht im luftleeren Raum. Wir erfahren etwas über deren gemeinsame Vergangenheit, über die Familiengeschichten der Protagonisten, über in der Vergangenheit getroffene schlechte Entscheidungen, die bis in die Gegenwart Schuldgefühle verursachen.

Positiv überrascht hat mich die Entscheidung der Autorin, die Atmosphäre der sechziger Jahre nicht durch die überbordende Nennung von Konsumartikeln zu veranschaulichen. Ihr Fokus richtet sich auf die kulturellen Veränderungen, die langsam aber sicher von Frankreich nach Deutschland überschwappen und den Mief der Nachkriegsjahre vertreiben. Hier kommt es ihr natürlich zupass, dass Paul ein glühender Fan der Nouvelle Vague ist und uns Leser*innen durch die Nennung der Titel immer wieder Filme, Regisseure und Schauspieler aus dieser Zeit ins Gedächtnis gerufen werden.

Ein vielschichtiger Roman, in dem Historisches gekonnt in unterhaltsame Fiktion verpackt ist und der dennoch nicht platt daherkommt. Empfehlenswert, vor allem für Leser*innen rechts und links der Grenze.