Rezension

Unwirklich schön, literarisch beeindruckend und menschlich bewegend

Das Glashotel -

Das Glashotel
von Emily St. John Mandel

Bewertet mit 5 Sternen

„Das Glashotel“ von Emily St. John Mandel ist das Must-read des Jahres 2021. Ein literarisches Meisterwerk voll emotionaler Weisheit, zugleich Charakterstudie und Abhandlung darüber, was Menschsein bedeutet.

Bereits in seiner Erzählweise bricht „Das Glashotel“ mit allen literarischen Konventionen: Nicht ein*e Protagonist*in steht im Zentrum, sondern eine Idee, ein Lebensgefühl. In einem Flickenteppich aus Erzählungen, die sich zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Perspektiven abspielen, werden die Schicksale der unterschiedlichsten Menschen erzählt. Ihre Leben sind lose miteinander verwoben durch einen geheimnisvollen Ort vor der Küste Kanadas, das „Glashotel“, und durch ein Finanzverbrechen apokalyptischen Ausmaßes, das das Leben vieler aus den Fugen geraten lässt. Jonathan Alkaitis hielt über Jahre hinweg ein Schneeballsystem am Laufen, in dem die Hoffnungen vieler Menschen steckten: angefangen von seiner Partnerin Vincent, die sich ihr Leben nie als Vorzeigefrau vorgestellt hat, bis zum Hotelmanager, der Jonathan aufgrund seiner schmeichelnden Worte sein weniges Erspartes überließ.

Dabei geht es im Roman weniger um das, was passiert, sondern eher darum, wie es sich auf die Figuren auswirkt. Feinfühlig und mit feiner Feder zeichnet Emily St. John Mandel das Gefühlsleben ihrer Charaktere nach, ihre Träume und Sehnsüchte, ihre Enttäuschungen und verpassten Chancen. Ihr poetischer, ruhiger Stil entwickelt dabei eine Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann, angefüllt mit Lebensweisheit, die unaufdringlich zwischen den Zeilen präsentiert wird. Klischees umschifft die Autorin meisterhaft: Vincent ist keine dumme, gierige Vorzeigefrau, sondern kalkuliert, intelligent, reflektiert – und sie lässt sich bewusst auf einen Deal ein. Jonathan ist nicht einfach ein skrupelloser Verbrecher, er empathisiert mit den Menschen, die er enttäuscht hat, sah für sich aber nie einen anderen Weg.

St. John Mandels Figuren machen Fehler, die sie bereuen, opfern Träume und verarbeiten Enttäuschungen. Sie sind auf der Suche, oft ohne genau zu wissen, wonach, sie machen das Beste aus dem, was sie haben. Kurz: Sie sind menschlich. Und das ist, was „Das Glashotel“ zu einem so brillanten, bewegenden Roman macht.