Rezension

Drei Frauengenerationen, über gleichberechtigte Teilhabe, Wahlfreiheit und Kinderwunsch

Nachts erzähle ich dir alles -

Nachts erzähle ich dir alles
von Anika Landsteiner

Bewertet mit 4 Sternen

Erschöpft durch die Trennung von ihrer langjährigen Lebenspartnerin und der Arbeit im eigenen Münchener Café will Léa im einsam gelegenen Ferienhaus ihrer Mutter in Südfrankreich Abstand gewinnen. Léas Großvater stammte von der Côte d’Azur; sie und ihre alleinerziehende Mutter hatten ihre Ferien stets in Saint Martin in der „Villa der Männer“ verbracht. Léa war seit Jahren nicht mehr dort und hat sich nicht dafür interessiert, wie es um den Kontakt ihrer Mutter zu Claire steht, die sich um das Haus mit Pool kümmert. Mit der kinderlosen und inzwischen verwitweten Claire wuchs Léa auf wie mit einer Tante. Die beiden Frauen wahren zunächst höfliche Distanz, aus der sich für Léa die Chance entwickelt, mehr über ihre Mutter und deren Beziehung zu Claire zu erfahren.

Direkt nach ihrer Ankunft trifft Léa die 16-jährige Alice, die sich angewöhnt hatte, im Garten des leer stehenden Hauses ungestört zu schreiben. Dass eine Sechzehnjährige am Abend allein in einer einsamen Gegend unterwegs ist, beunruhigt Léa. Da Alices Eltern im Ort ein Restaurant haben und sie viel allein ist, scheint das Mädchen seine Wanderungen nicht ungewöhnlich zu finden. Als Alice kurz darauf schwer verletzt gefunden wird und im Krankenhaus verstirbt, taucht bei Léa überraschend Alices älterer Bruder Émile auf. Als landesweit erfolgreicher Podcaster will er mit allen Personen sprechen, die Alice kurz vor ihrem Tod getroffen haben.

Parallele Handlungsstränge und ein an Léa gerichteter Monolog Claires geben Einblick in ein hochinteressantes Netz aus Beziehungen (Claire/ihre Jugendfreundin/deren Mutter; Brigitte/Claire/Léa und Léa/Émile). Zur Sprache kommt die Zeit, als Großmutter Marianne die eigene wissenschaftliche Karriere zurückstellte und Großvater Thierry im Ferienhaus - selbstverständlich allein - mit seiner Biologen-Clique auf den Putz haute. Die Frage, warum Frauen noch immer auf eigene Entwicklung und Karriere verzichten, ist für Léa nach ihrer Trennung hochaktuell.

Fazit
Anika Landsteiner erzählt von drei Frauengenerationen, über gleichberechtigte Teilhabe, Wahlfreiheit und Kinderwunsch, aber auch darüber, wie gerade Frauen Stärken anderer Frauen nicht wahrnehmen. Auf der Beziehungsebene ein berührender Roman, durch den Schauplatz Frankreich leicht verfremdet, den ich mit dem betontem Erklären von Offensichtlichem etwas zu dozierend fand.